Das Anrede Dilemma: Die große Du oder Sie Frage
In den meisten Unternehmen im deutschsprachigen Raum ist das „Sie“ ein fester Bestandteil der Umgangsform. Allerdings gibt es den Trend, dass vor allem junge Unternehmen mit flachen Hierarchieebenen das „Du“ in ihre Unternehmenskultur aufnehmen. Das Du wird oft bewusst verwendet um ein freundliches und freundschaftliches Arbeitsklima zu signalisieren und das Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern. Trotzdem haben beide Anredeformen Vor- und auch Nachteile und passen nicht zu jeder Unternehmenskultur. Das Skandinavische Großunternehmen IKEA hat das „Du“ im gesamten Unternehmen etabliert, über alle Hierarchieebenen hinweg, sowie mit den Kunden. Das Duzen passt zu dem Unternehmen, es macht einen sympathischen Eindruck auf Bewerber, sowie auf Kunden. Die Mitarbeiter ersparen sich das Anrede Dilemma, denn es gibt keine Ausnahmen, jeder wird geduzt. So einfach ist dies allerdings nicht in jedem Unternehmen. Stellen Sie sich eine große Rechtsanwalts-Kanzlei vor, in der der 18-Jährige Praktikant den obersten Chef mit Karl-Heinz anspricht und die Klienten ebenfalls geduzt werden. Eine eigenartige Vorstellung und vielleicht würde der ein oder andere Kunde die Kompetenzen der Mitarbeiter anzweifeln. Zudem gibt es auch Unterschiede zwischen Standorten. In einem Ort am Land, indem jeder jeden kennt, liegt es nahe das Du als Anrede zu verwenden.
Das Anrede Dilemma
Vermutlich waren Sie in Ihrem Leben schon einmal in ein Anrede Dilemma verwickelt. Man weiß nicht so recht, soll man nun duzen oder doch lieber siezen. Soll man das Du von sich aus anbieten oder lieber abwarten? Andere Kollegen werden vom Chef mit Du angesprochen, einem selbst hat dieser das Du aber nicht angeboten. Sie kommen in ein Unternehmen in dem sich jeder duzt, können Sie nun auch einfach Du sagen? Immer eine schwierige Situation.
Kann man ein Duz-Angebot ablehnen?
Prinzipiell ja. Wenn Sie sich mit dem Du am Arbeitsplatz unwohl fühlen, können Sie dieses Angebot auch ablehnen. Versuchen Sie Ihre Entscheidung aber gut zu erklären, indem Sie sich für das Angebot bedanken und beteuern, dass sie in der Arbeit lieber beim Sie bleiben würden. Wenn Sie neu in einem Unternehmen sind und merken, dass alle per Du sind, sollten Sie sich gut überlegen, ob Sie vielleicht doch mit dem Du leben können. Es macht keinen sehr offenen ersten Eindruck, wenn Sie sich hier sträuben.
Kann ich einfach Duzen, wenn es andere auch tun?
Nein. Der Höflichkeit halber immer noch einmal nachfragen. Ich würde nicht sofort davon ausgehen, dass für mein Gegenüber ein Du in Ordnung ist, auch wenn die Unternehmenskultur dies vorlebt. Es macht darüber hinaus einen aufmerksamen und respektvollen Eindruck, wenn man dies noch einmal hinterfragt.
Kann ich meinem Chef das Du anbieten?
Ich persönlich finde das eher schwierig und würde damit sehr vorsichtig sein. Wenn es Ihnen besonders wichtig ist, mit Ihrem Chef per Du zu sein, können Sie einen Fluchtweg anbieten. Wenn Sie zum Beispiel erwähnen, dass Sie sich sehr darüber freuen würden per Du zu sein, Sie aber Verständnis dafür haben, wenn Ihr Gegenüber das Angebot lieber ablehnen würde.
Kann ich als Chef Mitarbeiter unterschiedlich ansprechen?
Nein. Eine Führungskraft sollte nicht mit manchen Mitarbeitern per Du und mit anderen per Sie sein. Ich persönlich sehe dies als No-Go der Personalführung. Wenn ein Vorgesetzter einem Mitarbeiter das Du anbietet, muss er dies bei allen tun. Ansonsten entsteht eine unausgeglichene Situation, in der schnell Konflikte entstehen, da das Gefühl der Ausgrenzung vermittelt wird und manche Mitarbeiter „besser“ ankommen als andere.
Gibt es eine Anrede Regel, die immer funktioniert?
Meiner Meinung nach gibt es diese allgemeine Anrede Formel nicht. Oft sagt man ja, nur der ältere darf das Du anbieten, oder nur derjenige auf höherer Hierarchieebene usw. Was tue ich dann, wenn mein Chef jünger ist als ich? Welche Regel ist in dieser Situation vorzuziehen? Manchmal sollte man einfach nicht so viel darüber nachdenken und aus dem Bauch heraus entscheiden. Ein Duz-Angebot ist immer nett gemeint und wird meist sympathisch aufgefasst. Außer es ist tatsächlich total unangebracht, weil sich z.B. in dem Unternehmen niemand duzt, aber das ist im Normalfall dann offensichtlich. In vielen Unternehmen ist das Anrede Dilemma eine Thematik, über die man nicht spricht. Es ist oft der Fall, dass sich beide Parteien unsicher sind und dadurch eine unangenehme Situation entsteht. Außerdem gibt es zur Anrede extrem viele verschiedene Ansichten und Meinungen, was noch zusätzlich für Verwirrung sorgen kann. Wenn ich mir unsicher bezüglich der Anrede bin, versuche ich einfach das Thema anzusprechen.
Vor- und Nachteile von Du und Sie
Es ist gar nicht so einfach klare Vor- und Nachteile der verschiedenen Anredeformen festzumachen, denn es gibt immer ein ABER.
Zusammengehörigkeitsgefühl
Das Du vermittelt das Gefühl eines freundschaftlichen Umganges, man rückt in der Abteilung eventuell näher zusammen. ABER: Wenn ich jemanden aus der Abteilung nicht sympathisch finde, wird das Du dabei auch nicht helfen. Dann wird dieses Gefühl des Zusammenhaltes nur erzwungen aber nicht gelebt.
Distanz
Durch das Du kann die gefühlte Distanz zu Kollegen oder Vorgesetzten verringert werden. Es fördert eine offene und transparente Kommunikation, da sich der Umgang vertrauter anfühlt und die Hemmschwelle sinkt. Offene Fragen können so schneller abgeklärt werden. ABER: In gewissen Situationen kann diese Distanz auch hilfreich sein, möchte man zum Beispiel ein kritisches Thema ansprechen. Ist das Vertrauen untereinander groß, fällt es auch schwerer zurück zu stecken, wenn der Körper ausgebrannt ist, da man die Kollegen nicht enttäuschen möchte. Es wird schwerer, Beruf und Privat zu trennen.
Respekt
Das Sie spiegelt einen respektvollen und diskreten Umgangston wider. Dadurch wird ein „plumper“ Umgang vermieten, denn mit dem Du rutscht einem schnell heraus, was man wirklich denkt, auch wenn es unangebracht ist. ABER: Durch das Sie verwandelt sich der Vorgesetzte nicht wie durch Zauberhand zu einer Autoritätsperson, den Respekt muss man sich erst verdienen.
Bevorzugung
Ein großes Problem beim Du ist meiner Meinung nach die uneinheitliche Verwendung. In vielen Unternehmen sind manche Mitarbeiter per Du, manche per Sie und auch zwischen Chef und Mitarbeiter werden unterschiedliche Anredeformen verwendet. So entsteht nicht nur Verwirrung, weil man ständig nachdenken muss, wen man wie anspricht, sondern auch das Gefühl der Ausgrenzung. Es bilden sich Gruppen und man könnte das Gefühl bekommen, nicht so gut anzukommen, wie andere Kollegen. ABER: Ein generelles Du einzuführen stelle ich mir auch schwierig vor, da sich viele Mitarbeiter damit unwohl fühlen und es oft als erzwungene Maßnahme benutzt wird, um das Arbeitsklima zu verbessern.
Am Ende hat die Anrede wohl wenig Einfluss auf das Arbeitsklima im Unternehmen. Es kann mit einem Sie genauso ein freundschaftlicher und netter Umgang herrschen und das Du hindert ebenso wenig an einem respektvollen Miteinander. Es hängt wohl mehr von der Unternehmenskultur und den Menschen in einem Betrieb ab, wie miteinander umgegangen wird, wie die Kommunikation abläuft, ob neue Mitarbeiter herzlich aufgenommen werden oder ob Probleme einfach angesprochen werden können. Mein persönlicher Tipp, um mehr Klarheit in das Anrede Dilemma zu bringen, wäre es einfach offen anzusprechen. Damit habe ich die besten Erfahrungen gemacht. Ich würde mich auch sehr freuen, wenn Sie Ihre Meinung und Erfahrung mit uns teilen würden!
Heute zur Abwechslung statt einem Zitat eine lustige Halbwahrheit
Was machen Sie, wenn Sie nicht wissen, ob Sie jemanden
duzen oder siezen sollen?
2 % : Ich duze
5 %: Ich sieze
93 %: Ich erfinde eine ausgefallene, bizarre Satzkonstruktion
um eine Anrede zu vermeiden
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Kommentar von Jörg K. Unkrig |
Ein Thema, dass viele Mitarbeiter interessiert, sehr gut und professionell aufbereitet.
Häufig trauen sich gerade Berufeinsteiger nicht, das Thema offen oder direkt anzusprechen und fühlen sich unwohl, weil sie nicht wissen, wie sie Kollegen oder gar den Chef/die Chefin ansprechen sollen/dürfen. Mit der dargestellten Halbwahrheit ist es deshalb schon mehr eine Wahrheit.
Danke für diese praktischen Tipps und Tricks, wie man damit umgehen kann.
Antwort von Carina Andorfer
Lieber Jörg!
Vielen herzlichen Dank für Dein Feedback! Ganz genau! Ich war sogar selbst einmal in der Situation, dass ich sozusagen "die Neue" in einer Abteilung war und alle anderen Kollegen und Kolleginnen waren mit meiner Chefin per Du. Mir hat sie dies aber über ein Jahr hinweg nicht angeboten. Das war wirklich ein komisches Gefühl. Deshalb bin ich der Meinung, man kann dieses Thema durchaus offen ansprechen.
Liebe Grüße,
Carina
Kommentar von Maria T. |
Spannender Artikel, vielen Dank.
Ich kann mit einem Sie gut leben, schließlich ist eine Arbeitsstelle kein Stammtisch.
Eine deutlich ältere Kollegin bot mir vor einiger Zeit das Du an. Ich habe angenommen, auch wenn das Sie für mich völlig in Ordnung war.
Wenn Sie im Stress war, hat Sie mich dann immer gesiezt. Das ging mir ziemlich auf die Nerven, sodass ich in einer ruhigen Minute nachgefragt habe, welche Anrede jetzt gilt. Es blieb beim Du.
Gleichzeitig habe ich beobachtet, dass durch diese Nachfrage die grundsätzliche Basis noch einmal geklärt wurde, sie klarer wurde und ich nicht mehr genervt war.
:-) Freundliche Grüße
Maria T.
Antwort von Carina Andorfer
Vielen Dank für Ihren Kommentar und Ihre Erfahrung zu diesem Thema!
Ich denke es passiert vielen Menschen ab und zu, ein Duz-Angebot zu vergessen oder wie Sie schreiben, in stressigen Situationen in die gewohnte Anrede-Form zurück zufallen. Ich finde es wirklich spitze, dass Sie dieses Thema einfach angesprochen haben und so die oftmals komische Situation ganz einfach aufgeklärt haben. Ansonsten hätten Sie vermutlich jedes mal wieder darüber nachdenken müssen, wie Sie Ihre Kollegin nun ansprechen sollen und das eigentlich nett gemeinte Angebot zum Du wäre noch zu einer zusätzlichen Belastung geworden.
Ganz liebe Grüße,
Carina Andorfer
Kommentar von Ulrike Winzer |
Eine sehr guter Artikel, vielen Dank!
Ich persönliche erlebe das bei Stellenanzeigen meiner Kunden. In Azubi Anzeigen wird geduzt, in Anzeigen für seniore Positionen wird gesiezt. Riesengroß ist die Überraschung dann, wenn auf eine DU-Stellenanzeige ein Bewerber seine Bewerbung auch im Du-Format schickt und im ersten Vorstellungs-Gespräch mit "Guten Morgen Thomas" seinen Gesprächspartner auf Unternehmensseite begrüßt.
Wie Sie das geschrieben haben: das Du oder Sie muss zur Unternehmenskultur passen und sollte überlegt und einheitlich eingesetzt werden.
Herzliche Grüße, Ulrike Winzer
Antwort von Carina Andorfer
Liebe Frau Winzer!
Vielen Dank für Ihren Kommentar, das ist wirklich ein sehr spannendes Thema. Mit einer Stellenanzeige, in der das Du eigentlich pauschal verwendet wird, vermittelt man dem Bewerber automatisch den Eindruck von einer sehr freundschaftlichen Unternehmenskultur in der das "Du" gang und gäbe ist. Dann kommt aber schnell die Ernüchterung, wenn man zwar ungefragt mit "Du" angesprochen wird, aber selbst beim "Sie" bleiben soll. Ich denke solange man nicht selbst gerne geduzt wird, sollte man auch nicht davon ausgehen, dass das Gegenüber damit einverstanden ist.
Ganz liebe Grüße,
Carina Andorfer