Attributionsfehler: Wahrnehmung versus Realität
Wir versuchen stets herauszufinden, warum andere Menschen so handeln, wie sie handeln. Die Interpretation der Handlungen anderer erfolgt meist unbewusst und automatisch und kann individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Je nach relevanten persönlichen Erfahrungen, momentanen Gefühlszuständen und kognitiver Kapazität kann auch die eigene Interpretation ein und desselben Verhaltens verschieden sein. Eine der Entscheidungshilfen, die bestimmt, welche Gründe wir für eine Handlung annehmen, ist der fundamentale Attributionsfehler. Fehler deswegen, weil die Interpretationen unserer subjektiven Wahrnehmung oft falsch sind und nicht der Realität entsprechen. Welche Gründe hinter diesem Denkfehler stecken und warum auch Führungskräfte davor nicht gefeit sind, lesen Sie im heutigen Artikel von zweikern.
Die Gründe menschlichen Verhaltens
Eine der Hauptaufgaben der kognitiven Sozialpsychologie ist es, menschliche Attributionen, also das Suchen nach Gründen für eigene und fremde Verhaltensweisen, zu erforschen und zu erklären. Viele dieser fehleranfälligen Schlüsse entspringen sogenannten Urteilsheuristiken. Darunter versteht man einen automatisierten Denkprozess, der zu einer schnellen Entscheidungsfindung verhilft. In vielen alltäglichen Situationen können wir nicht jede Alternative rational abwägen, weshalb unbewusste kognitive Prozesse Entscheidungen für uns treffen. Im Falle des fundamentalen Attributionsfehlers werden dabei persönliche Eigenschaften für Handlungen anderer verantwortlich gemacht, während äußere Einflussfaktoren außer Acht gelassen werden. Beispielweise wirft man einem Kollegen, der zweimal hintereinander zu spät zur Arbeit kommt, schnell vor, er wäre unpünktlich und unzuverlässig. Was man aber bei dieser Zuordnung nicht berücksichtigt, sind die beiden Verkehrsunfälle, die es dem Kollegen unmöglich gemacht haben, pünktlich da zu sein.
Das Zuspätkommen hatte also gar nichts mit der Persönlichkeit des Kollegen zu tun, sondern mehr mit äußerlichen Umständen. Ebenso könnte die Nervosität einer präsentierenden Kollegin nicht auf Unsicherheit, sondern auf eine Angst vor Online-Meetings aufgrund von häufigen Ausfällen des WLANs zurückzuführen sein. Umgekehrt tendieren wir dazu, bei uns selbst den Einfluss situativer Umstände zu überschätzen. Sehen wir jemand anderen eine gute Leistung erbringen, ordnen wir sie dem Können der Person zu. Erfahren wir jedoch selbst Lob und eine gute Bewertung, wird eher Glück dafür verantwortlich gemacht. Ob eher situative oder persönliche Merkmale stärker gewichtet werden, hängt von vielerlei Faktoren ab. Dazu zählen Lernprozesse, Gefühle und die momentane Aufmerksamkeitsspanne. Zur Wirkungsweise und den Ursachen hinter diesem Attributionsfehler gibt es bereits zahlreiche Studien.
Attribution Theory of Leadership
Auch Führungskräfte sind von diesem Denkfehler nicht verschont: Green und Mitchell (1979) formulierten eine Attribution Theory of Leadership, die die Einflüsse der Interpretationen von Verhaltensursachen von Führungskräften und Mitarbeitenden beschreibt. Bevor Führungskräfte auf das Verhalten und die Leistung von Mitarbeitenden reagieren, entscheiden sie erst, was die Ursache dafür ist. Diese Attribution kann aus stabilen oder instabilen, äußeren und inneren Faktoren bestehen und bestimmt die Erwartungen der Führungskraft an zukünftiges Verhalten dieses Mitarbeitenden. Zudem bestimmen die Attributionen das Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden, das wiederum von diesen interpretiert wird. Sind diese Zuschreibungen negativ behaftet, kann dabei ein Teufelskreis entstehen. Feindseliges Verhalten gegenüber einem Mitarbeitenden aufgrund von falschen Attributionen kann diesen wiederum provozieren, schlechtere Leistungen zu erbringen.
Die Ursachen des Denkfehlers
Der fundamentale Attributionsfehler kann üblicherweise auf eine oder mehrere der folgenden Ursachen zurückgeführt werden. Wie bereits erwähnt, spielt unsere Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle für die Interpretation wahrgenommener Reize. Wollen wir den Grund für die Unpünktlichkeit einer Person wissen, sind die unmittelbar wahrgenommenen Reize die der Person selbst. Die Persönlichkeit rutscht damit in den Vordergrund der Interpretation, während die Verkehrsunfälle, die die eigentliche Ursache bilden, nicht sichtbar sind und damit nicht berücksichtigt werden. Von diesem automatischen Denken auf einen bewusst lenkbaren Prozess zu wechseln, ist zwar möglich, bedarf aber mehr Konzentration, Motivation und Zeit. Aber auch bewusstes Nachdenken unterliegt einigen Wahrnehmungsverzerrungen, sodass völlig objektive Einschätzungen einer Lage schwierig sind.
Außerdem gibt es Unterschiede in Attributionen je nach Kultur und Religion, in der man aufwächst und lebt. Kollektivistischere Kulturen, beispielsweise im asiatischen Raum, begehen den fundamentalen Attributionsfehler seltener. Menschen, die dort leben, nehmen öfter an, dass situative Faktoren für das Verhalten anderer verantwortlich sind und nicht nur Persönlichkeitsmerkmale. Der Attributionsfehler könnte im weiteren Sinne auch evolutionären Ursprungs sein. Die übermäßig starke Fixierung auf Menschen in unserem Umfeld machte es leichter, in Gruppen und Gemeinschaften zu leben.
Will man dem fundamentalen Attributionsfehler entgegenwirken, gibt es einige Strategien, die dabei helfen können. Den ersten Schritt tun Sie gerade, indem Sie sich über das Phänomen informieren. Zudem kann das Bewusstsein über die Wirkung des Attributionsfehlers in Alltagssituationen dabei helfen, voreilig getroffene Schlüsse zu hinterfragen. Dabei können folgende Fragen helfen: Verhalten sich andere in der gleichen Situation auch so? Tritt dieses Verhalten nur in dieser oder auch in anderen Situationen auf? Tritt dieses Verhalten immer in dieser Situation auf oder nur manchmal? Eine Reihe alternativer Erklärungen für Verhalten zu suchen, kann auch helfen, dem Attributionsfehler nicht zu verfallen.
Fazit zum Attributionsfehler
Die menschliche Wahrnehmung unterliegt zahlreichen subjektiven Filtern. Einer dieser Filter ist der fundamentale Attributionsfehler. Darunter versteht man das oft fälschliche Zuschreiben von menschlichem Verhalten zu bestimmten Persönlichkeitseigenschaften. Häufig können wir nichts für unsere Handlungen, da sie maßgeblich von anderen Faktoren bestimmt werden, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Sind wir uns dieses Fehlers bewusst, können wir ihn auch eher umgehen.
Wir nehmen nicht die Wirklichkeit wahr, sondern nur das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen.
Von Hermann Meyer (1871 - 1932), deutscher Verleger und Geograph
Literatur:
Gilbert, D. T. & Malone, P. S. (1995). The correspondence bias. Psychological Bulletin, 117, 21-38.
Green, S. G., & Mitchell, T. R. (1979). Attributional processes of leaders in leader—member interactions. Organizational behavior and human performance, 23(3), 429-458.
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