Big Five: Karriere und Persönlichkeit im Einklang
Bereits in Kindesjahren beeinflusst unsere Persönlichkeit, wie wir auf unser Umfeld reagieren und welche Hobbies wir wählen. Auch die Berufswahl hängt von bestimmten Charaktereigenschaften ab. Mitfühlende, extrovertierte Personen könnten soziale Jobs bevorzugen, während neugierige, introvertierte Menschen sich in der Forschung wohler fühlten. Die Kenntnis über eigene Stärken und Schwächen kann bewusst genutzt werden, um eine Berufswahl zu treffen, die zu den individuellen Eigenschaften passt. Eine gute Passung und ein Einklang zwischen Job und Persönlichkeit steigert nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch das Gehalt. Was die wichtigsten Dimensionen unserer Persönlichkeit (die Big Five) sind und wie unser Karriereweg auch Charaktermerkmale verändern kann, lesen Sie bei zweikern.
Die großen Fünf der Persönlichkeit
Eine der bekanntesten Theorien der menschlichen Persönlichkeit ist das Fünf-Faktoren-Modell, dessen Grundstruktur in den 1930er Jahren von Thurstone, Allport und Odbert erstellt wurde. Unsere Charaktereigenschaften lassen sich dabei mit fünf Dimensionen beschreiben: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus.
1. Offenheit
Die erste Dimension beschreibt die Offenheit für neue Erfahrungen. Je höher der Wert einer Person auf dieser Skala, desto offener ist sie gegenüber unbekannten Eindrücken. Oft gehen damit ein hohes Maß an Wissbegierde, viel Fantasie und Experimentierfreudigkeit einher. Menschen mit niedrigeren Werten auf dieser Dimension zeigen hingegen eher konventionelles Verhalten und konservative Einstellungen.
2. Gewissenhaftigkeit
Der zweite Faktor der Gewissenhaftigkeit beschreibt das Ausmaß an Selbstkontrolle und Zielstrebigkeit von Menschen. Sehr gewissenhafte Personen sind häufig gut im Organisieren und Planen von Tätigkeiten und übernehmen gerne Verantwortung. Weniger gewissenhafte Personen hingegen handeln eher spontan und unsorgfältig.
3. Extraversion
Die dritte Dimension beschreibt das Verhalten in zwischenmenschlichen Aktivitäten. Ruhige, zurückhaltende Menschen befinden sich eher auf der introvertierten Seite der Skala, während gesellige, gesprächige und aktive Personen eine höhere Ausprägung an Extraversion erreichen.
4. Verträglichkeit
Das vierte Element bezieht sich ebenso auf zwischenmenschliches Verhalten. Eine hohe Verträglichkeit kann sich zeigen durch altruistisches Verhalten, das anderen Menschen mit Mitgefühl begegnet und helfen will. Niedrige Verträglichkeitswerte hingegen gehen mit mehr Egozentrismus und Misstrauen gegenüber anderen einher. Verträglichere Personen achten also mehr auf andere, während weniger verträgliche Menschen mehr Wert auf die eigenen Interessen legen.
5. Neurotizismus
Der letzte Faktor der Big Five beschreibt die emotionale Stabilität bzw. Instabilität. Personen, die höhere Neurotizismus-Werte erzielen, erleben häufiger Angst, Unsicherheit und Anspannung. Niedrigere Werte auf der Neurotizismus-Ebene gehen einher mit ruhigerem, stabilerem und entspanntem emotionalem Erleben.
Bessere Passung = mehr Gehalt?
Es ist nicht immer einfach, die eigene Persönlichkeit objektiv zu beurteilen. Besonders bei der Berufswahl kann das Bewusstsein über die Grundstruktur der eigenen Charaktereigenschaften jedoch von großem Vorteil sein. Der erste Schritt, um die Struktur der eigenen Persönlichkeit zu identifizieren, können Persönlichkeitstests sein. Verlässliche und evidenzbasierte Tests basieren auf Modellen, die gründlich erforscht wurden. Die Ergebnisse von Persönlichkeitstests können als Leitfaden gesehen werden, sind jedoch keine Garanten dafür, dass man in einem bestimmten Beruf glücklicher wird als in einem anderen. Die menschliche Persönlichkeit ist extrem komplex und Tests, die in wenigen Minuten absolviert werden, können unmöglich das gesamte individuelle Spektrum an Charaktermerkmalen abdecken. Sie können jedoch als Wegweiser dienen. Beispielsweise würde eine Person, die einen sehr hohen Wert auf der Neurotizimus-Skala erreicht, vielleicht eher in einem ruhigeren, stressfreien Arbeitsfeld glücklicher werden als in einem schnellen, angespannten Umfeld.
Wurde eine Auswahl an interessanten Berufen getroffen, können Praktika und Freiwilligenarbeit dabeihelfen, diese Auswahl weiter einzugrenzen. Dadurch können erste unverbindliche Erfahrungen gesammelt werden, ohne sich direkt binden zu müssen. Zudem können Erfahrungsberichte von Personen, die in einem der Berufsfelder in der engeren Wahl arbeiten, die Entscheidung erleichtern. Obwohl die fünf erläuterten Persönlichkeitsmerkmale nicht die einzigen zu beachtenden Variablen bei der Berufswahl sind, kann eine gute Passung nicht nur die Zufriedenheit, sondern auch das Gehalt steigern. Dabei sticht ein Faktor besonders hervor: Das berufsspezifisch erforderliche Maß an Offenheit für neue Erfahrungen mitzubringen, ermöglicht ein höheres Gehalt (Denissen et al., 2014).
Karriere beeinflusst unsere Persönlichkeit
Nicht nur die Persönlichkeit spielt eine bedeutende Rolle bei der Berufswahl, sondern das Berufsleben beeinflusst umgekehrt auch die Persönlichkeit. Mit neuen Herausforderungen und gesammelten Erfahrungen verändern sich auch so manche Charaktereigenschaften (Specht, Egloff & Schmuckle, 2011). Die jeweilige Ausprägung der Big Five bleiben zwar relativ stabil über die Lebensspanne hinweg, einschneidende Erfahrungen und Veränderungen können aber trotzdem Verschiebungen bewirken. So erleben viele junge Erwachsene einen Anstieg an Gewissenhaftigkeit mit dem Berufseintritt. Ebenso kann ein Anstieg an Verträglichkeit im Job höhere Chancen auf Erfolg bedeuten. Die Persönlichkeit passt sich also in gewissem Maße auch den Anforderungen der Umwelt an. Verabschiedet man sich aus dem Erwerbsleben, fallenhäufig viele der alltäglichen Verpflichtungen weg und das Maß an Gewissenhaftigkeit sinkt wieder. Persönlichkeit und Beruf beeinflussen sich also konstant gegenseitig und bewirken so Veränderungen unserer Charaktereigenschaften, aber auch unserer Berufswahl.
Fazit zu den Big Five
Die menschliche Persönlichkeit ist viel komplexer, als einzelne psychologische Theorien dies erfassen können. Trotzdem kann das Bewusstsein über unsere persönlichen Charakterzüge und bevorzugten Arbeitsweisen die Berufswahl erleichtern. Ebenso können neue berufliche Anforderungen Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen und verändern. Diese Interaktion hilft uns einerseits, die Chance zu erhöhen, einen zufriedenstellenden Beruf zu finden. Andererseits können wir durch Selbstreflexion und Offenheit unsere Stärken so ausweiten und nutzen, dass wir die Anforderungen des Berufs besser erfüllen.
Persönlichkeit ist, was übrigbleibt, wenn man Ämter, Orden und Titel einer Person abzieht.
Von Wolfgang Herbst, deutscher Schriftsteller
Literatur:
Denissen, J. J., Ulferts, H., Lüdtke, O., Muck, P. M., & Gerstorf, D. (2014). Longitudinal transactions between personality and occupational roles: A large and heterogeneous study of job beginners, stayers, and changers. Developmental psychology, 50(7), 1931.
Specht, J., Egloff, B., & Schmukle, S. C. (2011). Stability and change of personality across the life course: the impact of age and major life events on mean-level and rank-order stability of the Big Five. Journal of personality and social psychology, 101(4), 862.
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