Cheffing: Gefährliche Ratschläge oder sinnvolle Praktiken
Liebe Leserinnen und Leser! In dieser Woche möchte ich mich mit einem Begriff beschäftigen, der mir in letzter Zeit oft in den gängigen Printmedien und deren Online-Ausgaben entgegenschlägt. Das sogenannte „Cheffing“ scheint derzeit der letzte Schrei dabei zu sein, dem Mitarbeiter bei dysfunktionaler Führung das Zepter in die Hand zu geben. Auf den ersten Blick erscheint mir die Idee dahinter plausibel, jedoch sehe ich gravierende Probleme, wenn es zum Realitätscheck kommt.
Begriffsklärung
Cheffing ist ein Neologismus aus der Gruppe Handy und Konsorten, der nicht im Entferntesten etwas mit seinem englischsprachigen Wortstamm zu tun hat. Er verpasst vielmehr der deutschen Version des „upward management“(der „Führung von unten“) einen passenderen Namen für Trainings-Flipcharts und Management Keynotes. Einfach ausgedrückt soll beim Cheffing die Führungskraft in bestimmten Bereichen durch den Mitarbeiter gelenkt werden. Natürlich gilt die grundlegende Annahme, dass die Mitarbeiter ihren Chef nicht mobben, oder gar loswerden, sondern vielmehr eine Unterstützung darstellen wollen. Viele Portale nehmen hier auch offen den gefährlichen Begriff der „Manipulation“ in den Mund, auf welchen ich gleich noch genauer eingehen möchte.
Cheffing: Praxis vs. Theorie
Die Theorie (wie z.B. Herzlieb & Ulrich 2005) kategorisiert Mitarbeiter oftmals in einfache Schemata, welche neben all den defizitären Formen, wie z.B. den Rebellen (vgl. Herzlieb & Ulrich 2005) auch den aktiven und bejahenden Mitarbeiter zeichnen. Dieser hat natürlich nur die besten Ambitionen zur Verbesserung der Unternehmenskultur und ist bereit, seine Führungskraft zu unterstützen. Er kann Probleme neutral bewerten und zur Problemlösung beitragen. Und hier sehe ich bereits zu Beginn die größte Schwachstelle der Cheffing-Theorien: Die grundlegende Neutralität des Mitarbeiters. Wenn ich als Mitarbeiter vor einem Problem in meiner Arbeit stehe, so ist es - neben einer objektiven Beurteilung der Situation - vollkommen ausgeschlossen, dass ich subjektive Faktoren außen vorlasse. Was bedeutet das Problem für mich, meine Zielerreichung und schlussendlich meine Arbeit? Gerade in größeren Unternehmen bis hin zum Konzern steht nur selten die Problemlösung für den Konzern vor der Problemlösung für das Individuum. Und genau daraus ergibt sich das Motiv, eine Situation für das eigene Wohl verbessern zu wollen, was in erster Instanz auch vollkommen legitim ist. Problematisch wird es dann, wenn ein intelligenter Mitarbeiter seine Führungskraft gezielt für die eigenen Interessen zu manipulieren weiß.
Gibt es einen Unterschied zwischen Cheffing und selbst-dienlicher Manipulation?
Erneut fällt also der Begriff des „Manipulierens“. Portale wie z.B. die Karrierebibel (https://karrierebibel.de/cheffing/) geben freimütig zu, dass sie im Cheffing ebenfalls eine klare Manipulation der Führungskraft erkennen. Dummerweise wird auf derlei Portalen vergessen, dass Manipulation immer zu Gunsten des Manipulators, unabhängig von einem möglichen Nachteil des Manipulierten, führt. Zentral steht die unterschwellige Steuerung einer Person durch eine aktive Ausnutzung persönlicher Eigenschaften, „mit dem Ziel, ihn für ihn unmittelbar fremde Ziele zu benutzen“ (Stangl, 2018). Wahrscheinlich ist dies ein unabsichtlicher Versehen im allgemeinen Sprachgebrauch, stellt für mich allerdings die realistischere Form des Cheffings dar. Auch die Tipps, die auf derartigen Seiten zu finden sind, lassen sich als klare Anleitung zum selbst-dienlichen Manipulieren, d.h. wie schaffe ich es, dass mein Vorgesetzter das macht, was ich von ihm möchte, verstehen. Warum sehe ich dieses Vorgehen nun als Problem?
Beim Cheffing gewinnt meist der Stärkste
Erfahrungsgemäß wird derjenige Mitarbeiter zur Manipulation greifen, der von Haus aus eine klare, eigene Agenda fährt und genau weiß, wie er seine Führungskraft zu bearbeiten hat. Schlussendlich gewinnt also der Mitarbeiter, der sich gegenüber der Führungskraft am besten profilieren kann, und nicht der Mitarbeiter, der Probleme einer neutralen Betrachtung unterzieht. Es verbreitet sich damit- frei nach dem Motto „wer am lautesten schreit hat Recht“- eine Dynamik der freien Wirtschaft, die eher narzisstische Persönlichkeitstypen bevorzugt und eher introvertierte Persönlichkeitstypen benachteiligt (Zur Definition).
Cheffing in der Gruppe
In einem Sonderfall kommt es dazu, dass eine kohärente Gruppe von Mitarbeitern gemeinsam eine Führungskraft nach ihren Wünschen gestaltet. Sollte es sich hierbei um eine progressive Veränderung des Führungsverhaltens und nicht um eine Manipulation handeln, so ist dies auch zu begrüßen. Problematisch wird es in ebenjenem Fall der Manipulation. Vor allem dann, wenn es neben den manipulierenden Mitarbeitern noch andere gibt, die unter der Agenda der Masse leiden (z.B. die Mehrheit will keine Protokollierung ihrer Arbeit mehr vollziehen und unterdrückt die Stimme der Andersdenkenden).
Alleine gegen den Rest
Am Ende droht in einem solchen Fall die Isolierung von der eigenen Abteilung, da nun auch die Führungskraft der Agenda der Mehrheit angepasst wird und nicht mehr nach universellen Verhaltensweisen des Unternehmens agiert. Hier droht das Erleben von eigener Hilflosigkeit bis hin zur Resignation. Der beste Fall für den Einzelmitarbeiter ist hier die frühe Versetzung bzw. Kündigung. Für das Unternehmen ist diese Situation ein doppelter Verlust: Zum einen verliert man einen Mitarbeiter und zum anderen unterliegt eine Abteilung einer anderen Agenda als der Unternehmensagenda.
Löst Cheffing das eigentliche Problem?
In meinen Augen hilft Cheffing nur im Sonderfall der perfekt objektiv agierenden Mitarbeiter und einer Agenda der Mitarbeiter, die den Unternehmenszielen dient. In der Realität halte ich dies allein deswegen schon für unwahrscheinlich, weil die wenigsten Mitarbeiter voll hinter der Agenda ihres Unternehmens stehen (ausgenommen kleinere Betriebe mit enger Bindung zur Geschäftsführung). Aus diesem Grund kann also in einem Unternehmen eine Kultur der „eigenen Agenda“ entstehen, welche sich mit jeder weiteren Abteilung weiter von einem gemeinsamen Ziel entfernt. Doch wie kann ein Unternehmen gegen eine solch desaströse Spaltung vorgehen?
Verantwortung des Unternehmens
Um eine derartige Unternehmenskultur zu verhindern, braucht ein Unternehmen transparente, kontrollierte und akzeptierte Richtlinien für das Arbeiten von Führungskräften. Transparent müssen diese vor allem an die darunter stehenden Mitarbeiter und die jeweilige Führungskraft gemacht werden, indem in der relevanten Abteilung die unternehmensweiten Vorgaben auf die Arbeit der Abteilung heruntergebrochen werden (z.B. „In unserer Abteilung bedeutet ausreichende Informationsweitergabe, dass wir am Montag ein Teammeeting abhalten und am Freitag den Bericht XY von unserer Führungskraft bekommen“).
Sind die Vorgaben transparent, so muss man sie regelßig kontrollieren. Auch hier möchte ich wieder auf die Gefahr von 360 Grad Feedbacks hinweisen (siehe Blog)! Befragen Sie nur die Menschen, die die Situation auch fair einschätzen können, und holen Sie die Führungskräfte mit ins Boot. Eine gemeinsame Ursachenforschung und selbstständige Lösungserarbeitung müssen hier gewährleistet werden.
Richtlinien werden dann akzeptiert, wenn sie in der einzelnen Abteilung nicht an der Wand hängen, sondern im Alltag einen Mehrwert für die Mitarbeiter liefern. Aus diesem Grund sollten Mitarbeiter auch in die Findung der Führungsverhaltensweisen eingebunden werden (Vorsicht: Denken Sie dabei auch an die Führungskräfte!).
Durch ein solches Vorgehen können Sie Manipulation einzelner zwar nicht gänzlich verhindern, aber eine klare Guideline für Führungskräfte erstellen, welche eine Manipulation nachhaltig eindämmen kann. Der einzelne Mitarbeiter kann sich im Feedback auf Vereinbarungen berufen und die Führungskraft sich bei „Manipulationsversuchen“ an diesen Richtlinien orientieren und Manipulation von Hilfestellung unterscheiden lernen.
Wer eine Menge großer Worte gebraucht, will nicht informieren sondern imponieren.
von Oskar von Miller
Literatur
Herzlieb, Heinz-Jürgen / Ulrich, Friedrich: Cheffing - Führen von unten. Cornelsen Verlag Scriptor GmbH & Co KG, Berlin 2005 (2. Auflage), ISBN 3411864044, S. 23
https://careers.workopolis.com/advice/the-trouble-with-introverts/
Stangl, W. (2018). Stichwort: 'Manipulation'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
WWW: http://lexikon.stangl.eu/7024/manipulation/ (2018-04-19)
https://karrierebibel.de/cheffing/
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