Erwartungen: Das Projizieren von sich auf andere
Jeder Mensch hat Erwartungen. Heute möchte ich näher auf die Erwartung von Wissen und Erfahrung eingehen, die wir sehr oft von uns selbst auf andere projizieren. Die Annahme, dass mein Gegenüber auf gleichem Wissensstand ist als ich oder die gleichen Wertvorstellungen und Prioritäten hat, kann oft zu einer erschwerten Kommunikation führen.
Wie oft waren Sie bereits in der Lage, dass Sie angenommen haben, eine Person würde etwas bereits wissen, ohne dies in Frage zu stellen, wobei dadurch ein Missverständnis entstanden ist? In der Regel passiert eine solche „Fehlkommunikation“ sehr häufig und äußert sich meist in einem “aneinander vorbei reden“ und endet in Missverständnissen und manchmal sogar in Auseinandersetzungen.
Projizieren von Wissen
Bei der Erwartungshaltung, die wir von uns selbst auf andere projizieren, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten. Die Erwartung von Wissen kann zum Beispiel in Form von Intelligenzerwartungen auftreten, bei der man von einer gewissen Allgemeinbildung des Gegenübers ausgeht. Dabei wird oft vergessen, dass jeder Mensch unterschiedliche Stärken und Schwächen in verschiedenen Themengebieten hat. Bestes Beispiel dafür, das wir vermutlich alle kennen, ist Mathematik. Bereits zu Schulzeiten gab es immer diejenigen, die sich mit Zahlen spielten und diejenigen, die damit kämpften.
Es können auch Erwartungen entstehen, die einen gewissen Informationsfluss im Unternehmen voraussetzen. Kann ich davon ausgehen, dass Informationen unternehmensintern weitergeleitet werden und jeder Mitarbeiter über Veränderungen oder andere wichtige Nachrichten informiert wurde? Ist davon auszugehen, dass alle Mitarbeiter die gleichen Informationen erhalten haben?
Dazu ein kleines Beispiel: Der Filialleiter eines Lebensmittelgeschäftes einer großen Kette bekommt einen Anruf der obersten Riege. Das Angebot, in der Feinkost, kleine Teller mit Kostproben auf der Theke aufzustellen, sei aus hygienischen Gründen ab sofort strengstens verboten. Dieses Detail wurde in den Hygienevorschriften leider vergessen und wird sobald als möglich ausgebessert. Alle Mitarbeiter sollen sich daran halten, denn die Inspektionen wären bereits in Gange.
Da die Abteilungsleiterin gerade im Krankenstand ist, bittet der Filialleiter eine andere Mitarbeiterin in das Büro und teilt ihr die Neuigkeiten mit, mit der Bitte, die Abteilung damit zu informieren. Die Mitarbeiterin informiert die anwesenden Kolleginnen. Die Kundschaften sind allerdings überhaupt nicht erfreut über die neue Regelung, sie haben diesen Service immer sehr genossen. Immer wieder müssen die Mitarbeiterinnen erklären, dass dies eine Anweisung von oben wäre und sie selbst nicht wirklich verstehen würden, was dabei das Problem sein soll. Als die Abteilungsleiterin aus dem Krankenstand zurückkehrt, richtet sie sofort einen Teller mit Kostproben zusammen, wie sie es gewohnt war. Zu diesem Zeitpunkt ist nur eine Mitarbeiterin anwesend, die von dem Verbot erfahren hat. Durch die Selbstverständlichkeit, mit der die Abteilungsleiterin den Teller auf die Theke stellt, nimmt die Mitarbeiterin an, sie wisse davon, halte allerdings nichts davon und mache es trotz des Verbotes. Dies war auch im Interesse der anderen Mitarbeiterinnen, denn niemand hat wirklich verstanden wieso man diesen Service nicht mehr anbieten sollte. Unter den Mitarbeiterinnen spricht sich schnell herum, dass die Anweisung des Chefs nicht ernst zu nehmen sei. Ein paar Tage später kommt die Hygieneaufsicht in den Betrieb und beklagt sofort das Verbot missachtet zu haben. Es kommt zum Streit. Der Filialleiter hätte die Information weitergeleitet, die Abteilungsleiterin beteuert nichts davon gewusst zu haben und die Mitarbeiterinnen bekommen eine Rüge verpasst.
In dieser Situation haben die Mitarbeiter in der Annahme gehandelt, die Abteilungsleiterin wisse von der Anweisung keine Kostproben mehr zu verteilen und sie würde es dennoch tun.
Projizieren von Wertvorstellungen
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass Mitarbeiter unterschiedliche Wertvorstellungen haben oder unter anderen Prioritäten handeln. So gibt es zum Beispiel Menschen, für die beruflicher Erfolg auf Nummer 1 der Prioritätenliste steht. Dafür geben diese Menschen alles, opfern all ihre Zeit und stecken ihre ganze Leidenschaft in den Beruf. Für andere ist wiederum wichtig, wenig Zeit im Büro zu verbringen, um sich voll und ganz um die Familie kümmern zu können. Wieder anderen ist vor allem die Freizeit wichtig, sie wollen viel Zeit für Urlaube und um Freunde zu treffen. Dabei gibt es in Unternehmen oft starke Diskrepanzen. Erfolgsorientierte Menschen können oft nicht verstehen, warum ihre Kollegen nicht so zielstrebig und ehrgeizig sind wie sie selbst. Andersherum ist es für eine Person, für die die schönste Zeit im Jahr der Urlaub ist, nicht einfach sich vorzustellen, wie andere Menschen rund um die Uhr arbeiten können und wollen.
Dabei gehen wir oft davon aus, dass andere Menschen die gleichen Prioritäten haben, wie wir selbst. Dies kann dann zum Problem werden wenn diese nicht ausreichend kommuniziert und besprochen werden. Hauptsächlich in Projektarbeiten können dann Ungerechtigkeiten auftreten.
Ein kleines Beispiel dazu: Eine Gruppe von vier Mitarbeitern arbeitet zusammen an einem Projekt. Es ist Freitag-Mittag, die Projektarbeit ist noch nicht vollständig, allerdings soll sie am Montag vor der Führungskraft präsentiert werden. Zwei der beiden Mitarbeiter beschließen der Führungskraft zu beichten, die Arbeit bis Montag nicht fertigstellen zu können und um eine Fristverlängerung zu bitten. Die anderen beiden wollen nach Feierabend noch bleiben, um das Projekt fertigzustellen. Sie wollen einen guten Eindruck machen und können die Demotivation und Faulheit der anderen nicht nachvollziehen. Diese sehen allerdings überhaupt keinen Grund dafür schlecht bezahlte Überstunden zu machen, nur um das Projekt rechtzeitig zu beenden. Ihnen ist die Zeit mit ihrer Familie wichtiger als die Projektarbeit rechtzeitig fertigzustellen. Es kommt zum Streit, da keiner der beiden Gruppen nachgeben will.
In diesem Beispiel haben die Mitglieder der Projektarbeit vollkommen andere Prioritäten. Die jeweils anderen Mitarbeiter können diese Einstellung nicht nachvollziehen und somit haben die beiden Gruppen auch kein Verständnis füreinander.
Die beste Möglichkeit, wie man selbst gegen das projizieren von Erwartungen ankämpfen kann, ist sicherlich das Reflektieren eigener Gedanken. Wenn wir das Wissen darüber im Hinterkopf behalten, dass wir dazu neigen, von uns selbst auf andere zu schließen, können wir dies auch verändern. Dadurch kann sich ein größeres Maß an Verständnis füreinander entwickeln und wird zusätzlich auch noch effektiver kommuniziert, steht einer erfolgreichen Zusammenarbeit nichts mehr im Weg.
Haben Sie bereits Erfahrungen mit solchen Situationen gemacht? Haben Sie Vorschläge wie man Diskrepanzen dieser Art am besten lösen könnte? Wir freuen uns auf Anregungen und Vorschläge!
Beide schaden sich selbst: der, der zu viel verspricht und der, der zu viel erwartet
von Gotthold Ephraim Lessing
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Kommentar von Daniel Held |
Antwort von Andreas Kerneder