Gewaltfreie Kommunikation: Teamarbeit leicht gemacht
Was unterscheidet Giraffen von Wölfen? Giraffen sind friedvolle Wesen, die wortwörtlich das größte Herz im Tierreich besitzen. Wölfe dagegen sind Raubtiere, die schnell und aggressiv angreifen. Diese Beobachtung machte auch der Psychologe Marshall Rosenberg, der Eigenschaften dieser beiden Wesen im Menschen sah und sie als Metapher auf seine Theorie der gewaltfreien Kommunikation ummünzte. Wolfsprache ist uns allen geläufig und zeichnet sich durch verletzende Aggression aus, während Giraffensprache menschlicher Empathie entspringt und die Gefühle anderer berücksichtigt. Wie Sie Wolfsprache erkennen, was dahintersteckt und wie durch Giraffensprache Teamarbeit leicht gemacht ist, lesen Sie in diesem Artikel.
Von Politik zur Psychotherapie
Rosenberg entwickelte das Konzept der gewaltfreien Kommunikation (kurz GFK) in den 1970er Jahren, als er bei der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zur friedlichen Lösung von Konflikten beitrug. Als er mit diesem Ansatz auf immer mehr Erfolg stieß, bat er in verschiedensten Ländern Trainingskurse an, darunter Deutschland, Polen, Indien, den USA und in Krisengebieten wie Serbien oder Palästina. Er baute die GFK stetig aus, so entwickelte er beispielsweise auch eine Version des Konzepts für Kinder.
Rosenbergs Ansatz entsprang einem bestimmten Zweig der humanistischen Psychologie, der klientenzentrierten Psychotherapie. Diese erlernte Rosenberg durch seinen Lehrer Carl Rogers, welcher als Gründervater der Richtung gilt. Rogers richtete seinen Fokus vor allem auf aktives Zuhören, worüber wir bereits berichteten. Das Wort „gewaltfrei“ übernahm Rosenberg von Mahatma Ghandi und dessen gewaltfreien und friedlichen Widerstand. Die GFK findet dank ihrer Vielfältigkeit und Relevanz nicht nur in der Psychotherapie Verwendung, sondern auch in verschiedensten anderen Bereichen wie Coaching und Mediation.
Wie entstehen Konflikte?
GFK wird bei Rosenberg auch als Sprache der Verbindung bezeichnet. Er sieht in jedem Ausdruck von Gewalt, sei es körperlicher oder verbaler Natur, ein verletztes grundlegendes Bedürfnis. Um zwischenmenschliche Konflikte lösen zu können, bedarf es also allen voran Empathie und Einfühlungsvermögen. Dabei wird versucht, Gefühle und Bedürfnisse hinter Handlungen aufzudecken und so Verständnis füreinander zu schaffen. Ich-Botschaften und klare und ehrliche Ausdrucksweisen sind Kernelemente der Giraffensprache, also der GFK.
Das Gegenstück dazu, die Wolfsprache oder auch lebensentfremdende Kommunikation, blockiert hingegen Verbindungen zwischen Menschen. Typische Eigenschaften von lebensentfremdender Kommunikation sind laut Rosenberg:
- Das moralische Urteilen über einen anderen Menschen („Du behandelst mich ungerecht“),
- Vergleiche ziehen („Lisa macht das besser als du“),
- Das Leugnen von Selbstverantwortung („Ich muss das tun, die Chefin hat es angeordnet“) oder
- Das Stellen von Forderungen („Mach das, sonst bist du gefeuert“).
Bedient sich unser Gegenüber dieser Kommunikationsweisen, reagieren wir mit Abwehr und einer Verteidigungs- oder Angriffshaltung. Somit distanzieren wir uns von unserer Einfühlsamkeit und es entstehen Konflikte. Egal in welchem Kontext – Konflikte können in jeder Art des menschlichen Austausches entstehen, vor allem wenn unbewusste, verletzte Bedürfnisse unser Verhalten steuern. Dabei bedeutet GFK nicht, einfach immer und zu jedem nett und konfliktscheu zu sein. Vielmehr geht es darum, ehrlich, offen und verständnisvoll aufeinander zuzugehen.
Gewaltfrei in 4 Schritten
Die GFK besteht aus vier grundlegenden Schritten, die nach einem bestimmten Muster ablaufen. Rosenberg fasst diese Schritte in einem Satz zusammen: „Wenn ich a sehe, dann fühle ich b, weil ich c brauche. Deshalb möchte ich jetzt gerne d.“ Die fett gedruckten Buchstaben a, b, c und d agieren dabei als Platzhalter für bestimmte Informationen. Wird dieses Muster eingehalten, kann eine Verbindung zum Gegenüber leichter aufgebaut werden. Auch in der Rolle des Zuhörenden kann es hilfreich sein zu versuchen, diese vier Elemente in den Aussagen des Gegenübers zu erkennen.
1. Beobachtung
Im ersten Schritt wird eine möglichst konkrete Handlung beschrieben, ohne dabei bewertend zu sein. Durch objektive Schilderungen weiß der/ die Gesprächspartner/in darüber Bescheid, worum es gerade geht. Wichtig hierbei ist es, Wörter wie „immer“ oder „nie“ zu vermeiden.
2. Gefühl
Im Anschluss an die Beobachtung soll erklärt werden, welches Gefühl diese Handlung in einem auslöst. Auch hier geht es nicht darum, urteilend oder anschuldigend zu sein, sondern klare emotionale, kognitive oder körperliche Vorgänge zu schildern.
3. Bedürfnis
Gefühle beruhen oft auf der Erfüllung oder der Verletzung von menschlichen Grundbedürfnissen. Beispiele für diese Bedürfnisse sind Sicherheit, Zugehörigkeit, Sinn oder Autonomie. Das Bedürfnis zu erkennen, das hinter einem Gefühl steckt, ist nicht immer einfach, kann aber mit Übung und Selbstreflexion jedem gelingen. Wird das Bedürfnis erkannt, lassen sich leichter konstruktive Lösungen finden.
4. Bitte
Im letzten Schritt wird eine konkrete Handlung genannt, die möglichst zeitnah an die Konversation erfüllt werden kann. Der wichtige Unterschied zwischen Forderungen und Bitten ist, das letztere keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen, sollten sie nicht erfüllt werden.
In der Praxis kann dies in einem Gespräch zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden so aussehen:
„Ich merke seit einigen Monaten, dass du jede Woche einen bis drei Tage in den Krankenstand gehst (Beobachtung). Dabei fühle ich Besorgnis, da ich befürchte, du könntest ernsthaft krank sein (Gefühl). Ich wüsste als deine Führungskraft gerne, ob ich dir helfen kann (Bedürfnis). Sag mir bitte, ob ich etwas für dich tun kann (Bitte).“
Fazit zu gewaltfreier Kommunikation
Zu Beginn mag es für viele vermutlich schwer sein, diese Technik konsequent anzuwenden. Mit ein bisschen Übung lassen sich die Grundzüge jedoch sehr gut in die alltägliche Denk- und Sprechweise integrieren. Rosenberg betont, dass dieses Modell eine Übergangshilfe darstellen und die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Botschaften von Gesprächen lenken soll. GFK kann durch die Betonung von Gefühlen und Bedürfnissen und den gleichzeitigen Verzicht auf Schuldzuweisungen Konflikte lösen und das Zusammenleben sowie die Zusammenarbeit mit anderen friedvoll und harmonisch gestalten. So profitiert jeder von dieser Umgangsform der Empathie und Ehrlichkeit.
Worte können Fenster sein – oder Mauern.
Von Marshall Rosenberg
Literatur:
Rosenberg, M. B. (2007). Kinder einfühlend ins Leben begleiten. Paderborn: Junfermann Verlag GmbH.
Rosenberg, M. B. (2016). Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann Verlag GmbH.
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Kommentar von Claudia |
Hallo Selina,
interessant mal einen solchen Ansatz in der Arbeitswelt vorzufinden, weil es ja oft einfach nur noch darum geht, sich über Zahlen, Daten und Fakten auszutauschen. Da bleibt das zwischenmenschliche schon mal auf der Strecke.
Ich habe mich gefragt, was es einem Unternehmen bringt, wenn grundsätzlich gewaltfrei kommuniziert wird. Hat das irgendwelche Auswirkungen und sollte ich diesen Kommunikationsansatz in meinem Unternehmen forcieren?
LG aus Ulm,
Claudia
Antwort von Selina Kern
Hallo Claudia,
Vielen Dank für dein positives Feedback.
Probanden von Studien zu gewaltfreier Kommunikation beschreiben Effekte wie eine Verbesserung ihrer Beziehungen, eine bewusstere Wahrnehmung ihrer Gefühle und Bedürfnisse und einem besseren Verständnis bzw. einer verbesserten Kommunikation (Burleson, M., Martin, M., & Lewis, R. Assessing the Impact of Nonviolent Communication.).
Von diesen Effekten würden Unternehmen durchaus profitieren, da damit eine bessere Zusammenarbeit möglich wäre und viele Prozesse (z.B. der Informationsaustausch oder Teamarbeit) reibungsloser ablaufen könnten.
LG Selina