Hands-on Psychologie: Urteilsfehler
Teamarbeit ist immer auch davon gekennzeichnet, dass Wahrnehmungs- und Urteilsfehler entstehen. Einige Gruppenphänomene konnten Sie bereits im Blogartikel „Gruppendynamiken: Grundwissen für Ihre Teamarbeit“ lesen. In diesem Artikel soll es darum gehen, zu verstehen, wie Urteile bei Individuen entstehen und welche psychologischen Fehler solche Urteile verzerren können.
Bereits das Wissen um diese Fehler wird Ihnen helfen, Urteilsfehler zukünftig wahrzunehmen und zu vermeiden.
Gruppendynamik
Gruppendynamiken tauchen grundsätzlich auf, wenn sich Menschen in Teams zusammenfinden. Dadurch, dass wir uns gegenseitig beeinflussen, verzerren sich sowohl unsere Wahrnehmungen als auch unsere Urteile. Im Blogartikel „Gruppendynamiken: Grundwissen für Ihre Teamarbeit“ lesen Sie alles zum Thema Groupthink, Gruppenpolarisierung und soziale Konformität. Diese drei Gruppendynamiken zeigen, dass Gruppenurteilen Fehler unterliegen, welche erst durch die Zusammenkunft von Individuen hervorgerufen werden.
Die Frage ist nun, wie Wahrnehmungs- und Urteilsfehler bei uns selbst entstehen und was können wir tun, damit diese nicht unsere Urteilsfähigkeit trüben?
Wie entsteht ein Urteil?
Ein Urteil im psychologischen Sinne ist die subjektive Bewertung eines Objekts, eines Gedankens oder Sachverhalts. Ein Beispiel für ein Urteil wäre, dass ich von einem Arbeitskollegen nett gegrüßt werde und ich ihn aufgrund dessen als positiv und sympathisch bewerte.
Um Urteile differenziert zu bilden, bilden wir sie mit unterschiedlichen Dimensionen.
- Bei der Bewertungsdimension ordnet man den eigenen Eindruck auf einer Skala mit den Endpunkten „angenehm“ vs. „unangenehm“ oder „einfach“ vs. „schwer“ ein.
- Die Wahrscheinlichkeitsdimension umfasst die Beurteilung, wie wahrscheinlich ein Ereignis ist. Also beispielsweise „immer“ vs. „nie“ bzw. „sicher“ vs. „unsicher“.
Ein Beispiel:
Mein Chef schlägt vor, eine firmeninterne App zu installieren, damit sich die Kommunikation innerhalb des Unternehmens verbessert. Als Mitarbeiter versuche ich diesen Vorschlag meines Chefs zu bewerten (sprich darüber zu urteilen), um für mich die Relevanz des Vorschlags zu bestimmen. In diese Bewertung fließt mit ein, wie ich diese Maßnahme empfinde (also beispielsweise „zielführend“ und „umsetzbar“). Außerdem halte ich diese Maßnahme für sehr wahrscheinlich, weil sie leicht umzusetzen ist, wenig Zeit und Ressourcen kostet und mein Chef sich grundsätzlich daranhält, was er verspricht.
So weit, so gut. Es gibt jedoch einige Urteilsfehler, die meine Entscheidung trüben und mich in die Irre führen.
1. Benjamin-Effekt
Der Benjamin-Effekt beschreibt das Phänomen, dass man Personen, die jünger sind, geringere Kompetenz zuschreibt als älteren Personen. Außerdem hält man Personen, die kürzere Dauer in einem Unternehmen sind, für weniger fähig, als Mitarbeitende, die länger in einem Unternehmen beschäftigt sind. Dieser Effekt bleibt bestehen, selbst wenn man sich die eigentliche Leistung der Personen ansieht. Man könnte also sagen, dass man Personen unterschätzt, die einen geringeren Status in der Organisation haben. Im Mittelpunkt steht hierbei nicht unbedingt die hierarchische Position der Person, sondern die Dauer der Unternehmenszugehörigkeit und das Alter. In dem oben genannten Beispiel vertraue ich also der Aussage eines Chefs, der älter und längere Zeit in dieser Position ist, mehr als einem jüngeren Chef, der seine Position erst seit kurzer Zeit bekleidet. Ich halte es somit für wahrscheinlicher, dass die Maßnahme umgesetzt wird und bewerte die Maßnahme grundsätzlich als positiver.
2. Bestätigungsfehler
Ein Bestätigungsfehler wird in der Kognitionspsychologie als eine Verzerrung beschrieben, bei der der Mensch dazu neigt, Informationen so auszuwählen und zu interpretieren, dass sie die eigenen Erwartungen und Annahmen bestätigen. Wir gewichten somit Fakten, die in unser Weltbild passen stärker in der Beurteilung als Informationen, die dagegensprechen. Dies würde auch beispielsweise erklären, wieso man sich in Teams oftmals einig ist, dass gewisse Maßnahmen einfach nicht funktionieren (bereits die einmalige Erfahrung des Scheiterns würde diese Kognition in den Köpfen vieler Mitarbeitenden verankern) oder bestimmte Prozesse „schon immer so gemacht wurden“ und deshalb unveränderlich sind, weil sie sich bewährt haben. Damit einher geht der Wiederholungseffekt, bei dem die Wiederholung einer Information die (vermeintlich wahrgenommene) Wahrheit für einen selbst steigert. Umso öfter wir also Meinungen hören, desto eher halten wir sie für wahr. Politische Meinungsmache basiert ebenfalls auf diesem Prinzip.
In dem obigen Beispiel empfinde ich die Maßnahme als umsetzbarer und realistischer, wenn ich selbst der Überzeugung bin, dass die Maßnahme eine gute Idee ist. Außerdem werde ich Informationen, die die mögliche Umsetzung der Maßnahme betreffen, stärker in meine Beurteilung miteinfließen lassen als Gegenargumente. Die Wiederholung dieser Informationen lassen mich zudem noch stärker daran glauben, dass mit der Einführung der App alle Probleme gelöst sind.
3. Gender Bias
Gender Bias ist das Vorurteil, Annahmen oder statistische Fehler des einen Geschlechts gegenüber dem Anderen. Folgen des Gender Bias sind die falsche subtile oder direkte Darstellung von geschlechtsspezifischen Verhältnissen. Das Gender Bias entsteht schon in der Kindheit aus stereotypen Rollenzuschreibungen, dass beispielsweise Jungen mit Autos spielen und Mädchen mit Puppen.
Dieser Fehler kann beispielsweise dazu führen, dass Männern mehr Kompetenz, Dominanz und Karriereambitionen im Unternehmenssetting zugeschrieben werden und Frauen eher emotionale Wärme innerhalb von sozialen Gefügen. In Fernsehnachrichten werden Männer beispielsweise sehr kopflastig dargestellt (als Zeichen für Kompetenz), Frauen werden häufiger bis zu ihrem Rumpf abgebildet (assoziiert mit mehr Empathie).
In Unternehmen macht sich dieser Beurteilungsfehler dadurch bemerkbar, dass Frauen in Führungspositionen Rücksichtslosigkeit und Egoismus unterstellt wird, um diese Position bekleiden zu können, wohingegen Männer als Führungskräfte sowohl als kompetent als auch als sympathisch deklariert werden.
Dieser Beurteilungsfehler führt in Teams dann dazu, dass eine Übergeneralisierung stattfindet. Männer sollen die Führungsrolle übernehmen, Frauen kümmern sich um die Delegation und Organisation.
Das Gender Bias wird vor allem untersucht, um die ungleiche Behandlung von Mann und Frau zu offen zu legen. Männer sind allerdings von impliziten Rollenzuschreibungen genauso betroffen wie Frauen.
Wie kann ich mich vor Urteilsfehlern schützen?
Zunächst einmal sind wir alle von Urteilsfehlern betroffen. Es ist menschlich, dass wir uns durch unsere Emotionen (Gedanken) und manchmal auch durch unsere Kognitionen (Gedanken) in die Irre führen lassen. Vor allem wenn wir erschöpft sind oder viele Dinge auf einmal im Kopf haben, spielen uns die Urteilsfehler Streiche.
Bereits das Wissen um diese Fehler lässt uns in diesen Settings innehalten und darüber nachdenken, ob wir gerade diesem Wahrnehmungs- oder Urteilsfehler unterliegen. Mit diesem Wissen, wie Urteilsfehler entstehen und sich manifestieren, kann man sich gezielt Gedanken darüber machen, welche Informationen man unbewusst außer Acht lässt!
Die Begriffe der Menschen von den Dingen sind meistens nur ihre Urteile von den Dingen
Von Friedrich Hebbel (dt. Dramatiker)
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