Hands-on Psychologie: Krisenmanagement
Krisen führen immer zu Veränderungen auf vielen Ebenen. Aus diesen Veränderungen folgt Unsicherheit, da unser gewohntes Umfeld nicht mehr vorhanden ist. Wir wissen nicht mehr, was die richtigen nächsten Schritte und Entscheidungen sind, da die vertrauten Regeln nicht mehr zu gelten scheinen. Das Resultat daraus sind Angst und Stress sowohl auf der persönlichen Ebene, als auch in Unternehmen, die sich plötzlich vor einem Abgrund wiederfinden. Eine falsche Entscheidung könnte die Insolvenz der Organisation bedeuten, was enormen Druck erzeugt. Dieser wirkt sich unbewusst auf das menschliche Verhalten aus und erschwert ein erfolgreiches Krisenmanagement zusätzlich.
Die Rationalisierung der Angstsymptome, die dadurch entstehen, ist die Voraussetzung für erfolgreiches Angst- und Stressmanagement. Denn ist man sich der Beweggründe hinter dem Verhalten von sich selbst und seinen Mitmenschen bewusst, ist dieses auch leichter zu kontrollieren. Wie die psychologischen Mechanismen dahinter aussehen, lesen Sie in diesem zweikern Hands-on Psychologie Artikel. Mehr praktische Tipps zu Krisenmanagement und -kommunikation finden Sie in diesem Whitepaper zum Thema Krisenkommunikation von zweikern.
Krisendefinition
Je nach Kontext unterscheiden sich die Krisendefinitionen in der Literatur, die Ursache und Wirkung bleiben dabei jedoch großteils gleich, da egal ob im persönlichen oder organisationalen Rahmen, es immer um Menschen geht.
Eine Krise zeichnet sich aus durch die Störung eines Gleichgewichts, weil für die Bewältigung bestimmter Umstände oder Ereignisse die nötigen Ressourcen nicht vorliegen. Daraus folgt eine problematische Funktionsstörung. Auf Individuen bezogen würde dies zu einer Lebenskrise führen, im organisationalen Kontext zu einer bestandsgefährdenden Bedrohung des Unternehmens.
Unterschieden wird grundsätzlich zwischen zwei Arten von Unternehmenskrisen. Krisen durch endogene Ursachen werden durch Faktoren innerhalb des Unternehmens, wie Fehlverhalten von Führungskräften oder mangelnde Planung, verursacht. Krisen durch exogene Ursachen sind dagegen durch Umwelteinflüsse ausgelöst, wie strukturelle Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds eines Unternehmens oder gesetzliche Auflagen wie die momentanen Quarantäne-Maßnahmen.
Die Psychologie der Krise
Werden Menschen mit einer Krise konfrontiert, reagieren sie oft mit typischen Verhaltensweisen. Diese resultieren meistens aus Angst und Stress, was mit dem Zeit- und Entscheidungsdruck einhergeht, der in Krisen oft entsteht. Dadurch werden sachliche Lösungsfindungen erschwert.
Die erste Phase, die Menschen in einer Krise erleben, ist Schock. Hier wird die Bedrohung wahrgenommen, und es folgen Hilflosigkeit, Angst und Panik. Diese Phase ist gekennzeichnet durch einen Zusammenbruch kognitiver Strukturen, der es erschwert, klar denken oder planen zu können.
Darauf folgt eine Phase des defensiven Rückzugs. Hier wird der Versuch unternommen, die bisherigen Systemziele beizubehalten und die Auswirkungen der Krise zu verdrängen oder zu leugnen. Gedanklich entsteht eine defensive Reorganisation, die Widerstand gegen jegliche Veränderung leistet.
Die dritte Phase des Eingeständnisses beschreibt die Erkennung der Wirklichkeit und die Aufgabe der bisherigen Systemziele. Es entsteht oft ein Zustand der Depression, da ein Zusammenbruch folgt, der eine Neuorganisation aufgrund der veränderten Wirklichkeit erfordert.
In der vierten Phase finden schließlich eine Anpassung und ein Wandel statt. Systemziele werden neu erstellt, und eine aktive Auseinandersetzung mit der neuen Wirklichkeit führt zum Abbau der Depression.
Typische Verhaltensmuster in Krisen
Warum lösen Krisen so starke Angstgefühle aus? In der Krise tritt ein ungewohnter Zustand ein, indem Verhalten, das uns im Alltag Sicherheit gibt, nicht mehr ausreicht. Dies verursacht Unsicherheit und in Folge auch Angst und Stress.
Auch im Krisenstab, eine Mischung aus Unternehmensmitgliedern, die im Ernstfall Aufgaben des Krisenmanagements übernehmen, stellt Angst ein oft verdrängtes Problem dar. Im Unternehmen kann sich dieser emotionale Zustand durch bestimmte Verhaltensmuster auswirken, die oft unbewusst ablaufen und Resultat von psychischen Schutzmechanismen sind. Weil unsere kognitive Informationsverarbeitung so effizient und energiesparend wie möglich abläuft, können unter Druck oft nicht alle wichtigen Informationen berücksichtigt werden. Es gibt dabei vier grundlegende Tendenzen unserer Informationsverarbeitung:
1. Tendenz zur Ökonomie
Die Kapazität unseres Arbeitsgedächtnisses ist begrenzt, weshalb unsere Informationsverarbeitung sparsam erfolgt. Dadurch kann oft nicht über mehrere Dinge gleichzeitig nachgedacht oder entschieden werden. In diesem sparsamen Denken werden auch oft Details ignoriert, was zu Fehlern führen kann.
2. Tendenz zur Vereinheitlichung
Im Alltag werden einzelne Informationen oft zu einem großen Ganzen zusammengefügt, also metaphorisch die Bäume zum Wald. Das spart kognitiven Aufwand, es kann aber auch passieren, dass dadurch fälschlicherweise Informationen zusammengefügt werden, die eigentlich nicht zusammenhängen. Ein Krisenmanager sollte dabei genau analysieren können, welche Systeme des Unternehmens wie zusammenwirken.
3. Emotionale Belastung
Emotionale Belastungen wirken sich auf das Gehirn aus. Angst kann dabei die Wahrnehmung verengen und das Denken beschränken. So können wichtige Informationen nicht optimal wahrgenommen oder verarbeitet werden, was wiederum Einfluss auf Entscheidungsfindung hat.
4. Tendenz zur Kompetenzsicherung
Dieses angstbasierte Verhalten führt auch bei vielen Menschen zu Verhaltensweisen, die der eigenen Kompetenzsicherung dienen. Dieses kann sich z. B. ausdrücken in Demonstrationen der eigenen Erfolge, auch wenn diese sich nicht auf wichtige Probleme beziehen, und diese momentan irrelevant sind.
Ist man sich dieser Einschränkungen des Gehirns in Stresssituationen bewusst, kann man besser damit umgehen und Wahrnehmungs- oder Urteilsfehler eher vermeiden. Auch anderen gegenüber sollte dieses Wissen beim Krisenmanagement berücksichtigt werden.
Bewältigung der Angst
Es gibt einige psychologische Methoden um den schädigenden Einfluss der Angst zu minimieren, und diese sogar zum eigenen Vorteil zu nutzen.
Um kognitiv mit voller Leistung arbeiten zu können, müssen die Emotionen und der Körper richtig reguliert werden. Gesunde Ernährung, ausreichend Schlaf sowie Atem- und Entspannungsübungen sind für Stressmanagement extrem wichtig. Ist man körperlich und emotional erschöpft, wirkt sich das auch auf der kognitiven Ebene aus. Vor allem in Krisenzeiten benötigen Menschen einen regelmäßigen Tagesrhythmus, um Konzentrationsstörungen zu vermeiden. Deshalb ist es für Mitglieder eines Krisenstabs auch förderlich, in Schichten zu arbeiten. So bekommt jedes Mitglied ausreichend Ruhephasen.
Die Angstbewältigung kann zusätzlich in vier Schritten verbessert werden. Der erste Schritt ist es, positive und erreichbare Ziele zu setzen. Im zweiten Schritt wird das Geschehen mental visualisiert. Zusätzlich hilft ein positives Selbstgespräch, sich an eigene Stärken zu erinnern. Zuletzt hilft Atemkontrolle, die eigene Stressreaktion besser zu kontrollieren. Diese Fähigkeiten sollten im Idealfall schon vor dem Eintritt einer Krise geübt und praktiziert werden, denn so kann sich die angstlösende Wirkung schneller entfalten.
Fazit zu Krisenmanagement
Emotionen und unbewusste psychische Prozesse nehmen großen Einfluss auf unsere Gedanken und unsere Handlungen. Das Wissen um diese Prozesse, Selbstbeobachtung und Reflexionsfähigkeit machen diese Einflüsse zugänglicher. Dadurch können sie auch leichter erkannt und kontrolliert werde. Vor allem in Situationen wie Krisen, in denen unsere innere Gefühlswelt unter großem Druck stehen, ist dieses Wissen umso wichtiger. Nutzen die Mitglieder eines Krisenstabs in Unternehmen diese Informationen für sich, fällt rationales Denken und die Entscheidungsfindung im Krisenmanagement um einiges leichter.
Die schwierigste Zeit in unserem Leben ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln.
von Dalai Lama
Literatur:
zweikern Whitepaper "Krisenmanagement: Kommunikation und Führung"
Trauboth, J. H. (Ed.). (2016). Krisenmanagement in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen: Professionelle Prävention und Reaktion bei sicherheitsrelevanten Bedrohungen von innen und außen. Richard Boorberg Verlag.
Rüsen, T. A., & Rüsen, T. A. (2009). Krisen und Krisenmanagement in Familienunternehmen. Wiesbaden: Gabler.
Immerschitt, W. (2015). Aktive Krisenkommunikation: Erste Hilfe für Management und Krisenstab. Springer-Verlag.
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Kommentar von Anne Geber |
Liebes zweikern Team,
interessanter Einblick in die Krisenthematik! Für mich hat sich während des Lesens die Frage gestellt, inwiefern das Unternehmen für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeitenden (vor allem in solchen Krisen) verantwortlich ist. Was machen Kleinunternehmer in dieser Zeit, die bisher nicht in betriebliches (psychisches) Gesundheitsmanagement investiert haben? Gibt es auch Tipps und Hilfestellungen für Unternehmen, die keinen Krisenstab bilden können, die vielleicht mit der Delegation von den wirtschaftlichen Herausforderungen überfordert sind?
Ich freue mich auf eine Diskussion zu diesem Thema und bin auf eine Antwort eurerseits gespannt.
LG
Anne
Antwort von Selina Kern
Hallo Frau Geber,
Vielen Dank für Ihren Kommentar! Sie werfen sehr spannende Fragen auf, mit denen sich bestimmt gerade so einige Unternehmen konfrontiert sehen.
In die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden zu investieren, ist immer ein guter Schritt und kann dem Unternehmen enorme Vorteile verschaffen, da dadurch krankheitsbedingte Fehltage präventiv verringert werden können und die Mitarbeiterzufriedenheit mit besserer psychischer Gesundheit steigt. Ich denke, es ist besonders auch in der Krise möglich und empfehlenswert, die psychischen Aspekte der Kommunikation zu berücksichtigen und Hilfestellungen für die Mitarbeitenden bereitzustellen.
Um diese Überforderung des Unternehmens während der Krisenzeit zu vermeiden, sollten im Idealfall schon vorher entsprechende Überlegungen gemacht werden. Eine gute Vertrauensbasis zwischen den Führungskräften und Managern kann den Umgang mit Delegationen erleichtern. Ein Krisenstab kann auch zu Beginn einer Krise noch gegründet werden und die Anzahl der Personen im Stab ist denke ich immer abhängig von der Größe des Unternehmens. Ohne Krisenstab könnte sich meiner Ansicht nach eher Chaos und Verwirrungen bezüglich der Verantwortungsbereiche ergeben. Wie sehen Sie das? Denken Sie, es ist in der Krise bereits zu spät, noch einen Krisenstab einzurichten?
Liebe Grüße
Selina von zweikern
Kommentar von Anne G. |
Hallo Selina!
Vielen Dank für Ihre Antwort!
Grundsätzlich hängt es denke ich, davon ab, um was für eine Art Krise es sich handelt und wie weit die Krise fortgeschritten ist. Auch spielt, wie Sie sagen, die Größe des Unternehmens eine große Rolle in der Bildung des Krisenstabs. Ich fürchte fast, es gibt keine Anhaltspunkte für die Krisenstabs-Bildung, sondern die Entscheidungen darüber obliegt dem Unternehmen (und den Unternehmensberatern, die in der Krise zu Hilfe kommen). Schlecht ist nur, wenn das Unternehmen so oder so handlungsunfähig ist oder sich zu Unrecht dazu imstande sieht, mit der Krise "alleine" fertig zu werden.
Zur Thematik der psychischen Gesundheit wird es wohl immer wichtiger, dass Unternehmen heutzutage auch psychische Komponenten des BGM miteinbeziehen. Inwiefern das umgesetzt werden kann (und momentan schon wird) bleibt wohl noch offen.
Freundliche Grüße
Anne