Hands-on Psychologie: Umgang mit Angst
Vermutlich hat jeder und jede von uns schon so manche Situation erlebt, in der wir intuitiv mit körperlicher Erregung und geistiger Alarmbereitschaft reagierten, auch bekannt als: Angst. Sie sichert einerseits unser Überleben, kann uns aber unter Umständen auch einschränken und unser Zusammenleben und den Umgang mit Menschen aus anderen Kulturen erschweren. Was es mit dieser Emotion auf sich hat, wie sie entsteht und warum sie an verschiedenen Orten unterschiedlich ausgedrückt wird, lesen Sie in diesem Artikel der „Hands-on-Psychologie“-Reihe von zweikern.
Die Geschichte der Angst
Der Begriff „Angst“ stammt ursprünglich vom griechischen Wort „agchein“ ab, was so viel bedeutet wie „die Kehle zuschnüren“ oder „würgen“. Es beschreibt damit sehr gut ein Gefühl, dass wir alle kennen und das im Gegensatz zur Furcht nicht unbedingt auf eine klare äußere Gefahr gerichtet ist. Unterschieden wird zwischen der Angst als Charaktereigenschaft, also als „trait“, und als momentaner Zustand, auch genannt „state“. Sie beschreibt neben Freude, Überraschung, Wut, Ekel und Trauer eine der sechs Basisemotionen des Menschen, die genetisch veranlagt sind und sich über bestimmte Eigenschaften der Mimik und Gestik ausdrücken.
Evolutionär gesehen war Angst ein wichtiger Überlebensmechanismus, der Menschen in einen Zustand erhöhter Wachsamkeit und verstärkter Kraft versetzen kann. Die Art und Intensität der wahrgenommenen Gefahr entscheidet dann darüber, ob wir flüchten oder uns der Gefahr stellen (fight-or-flight). Dieser Mechanismus bleibt bis heute bestehen, wenn sich doch die Auslöser der Angst verändert oder erweitert haben. War früher die wahrscheinlichste Bedrohung die Konfrontation mit einem Raubtier oder einer giftigen Schlange, so ist es heute oft vielmehr der Zusammenstoß mit einem Auto oder die Bedrohung einer Schusswaffe. Aber auch andere, objektiv gesehen nicht lebensbedrohliche, beispielsweise soziale Reize können Angstreaktionen auslösen. Im Extremfall können dabei Angst- oder Panikstörungen entstehen.
Die Physiologie der Angst
Das Ablesen der Stimmung des Gegenübers war für das Überleben des Menschen immer schon wichtig, da wir Herdentiere und somit voneinander abhängig sind. Lächelt uns unser Gegenüber an, scheint eine entspannte Stimmung zu herrschen. Zeigt er jedoch Überraschung, Sorge oder Ärger, ist es wahrscheinlich ratsam, ebenfalls eine achtsame Haltung einzunehmen, da Gefahr lauern könnte. Darauf folgen die körperlichen Symptome von Angst, wie erhöhte Muskelanspannung und Herzfrequenz, geweitete Pupillen und schnellere Atmung. Beteiligt an diesen Prozessen sind vor allem Gehirnregionen wie die Amygdala, der Hypothalamus und das vegetative Nervensystem. Diese bestimmen sowohl die Aktivierung von Angstreaktionen, als auch den Abklang dieser.
Die Psychologie der Angst
Betrachtet man die Ursachen von Angstreaktionen genauer, lassen diese sich oft auf Lernprozesse zurückführen. Einige Reize wie Spinnen, Raubtiere oder Gesichter mit negativem Ausdruck rufen bei vielen Menschen instinktiv Angst hervor. Dies liegt daran, dass der Mensch genetisch veranlagt ist, diese Reize als Gefahren zu interpretieren. Andere Gefahrenquellen, die evolutionär keine Rolle spielten wie Schusswaffen oder Messer, lösen erst durch Lernprozesse etablierte Reiz-Reaktions-Ketten Angstreaktionen aus.
Unterschieden wird dabei zwischen zwei verschiedenen Lerntheorien: Klassische Konditionierung und operante Konditionierung. Wird ein ursprünglich neutraler Reiz (Schusswaffe) durch zeitnahes Auftreten mit einer Gefahr (Verletzung) und der damit verbundenen Angstreaktion zu einem erlernten Gefahrenreiz, spricht man von klassischer Konditionierung. Wird hingegen ein klassisch konditionierter Angstreiz vermieden, die Angst dadurch gelindert und der Reiz daher auch in Zukunft vermieden, spricht man vom Einfluss der operanten Konditionierung. Zusätzlich zu Lernprozessen entscheiden auch kognitive Einschätzungen von Gefahren und der Kosten dieser darüber, ob Angst entsteht.
Mit Angstgefühlen sind die meisten Menschen vertraut, egal, woher sie stammen. Je nach Intensität und Auslöser der Angst reagieren Menschen unterschiedlich darauf. Wo Vermeidungsverhalten versucht, angstauslösenden Reizen auszuweichen, sorgt Verdrängung dafür, diese Emotionen gänzlich zu unterdrücken. Generalisierung breitet Angst auf unterschiedliche Situationen mit ähnlichen Reizen aus, und Bewältigungsverhalten versucht, eine adäquate Reaktion zu finden.
Die Kultur der Angst
Inwiefern Angst und andere Emotionen offen gezeigt und gelebt werden und wie der Umgang mit Angst aussieht, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und von Kultur zu Kultur.
In Japan und anderen asiatischen Ländern wird der Ausdruck von Emotionen im Gegensatz zu westlicheren Kulturen dabei eher unterdrückt. Hier gilt, um jeden Preis das „Gesicht zu wahren“ und starke Emotionen durch ein Lächeln zu überdecken, da dies dem Geschäft und persönlichen Beziehungen schaden könnte. In Asien lebende Menschen schauen deshalb eher auf die Augenpartie ihres Gegenübers, um deren Gemütszustand zu eruieren, weil dieser Gesichtsbereich schwerer zu kontrollieren ist als beispielsweise die Mundpartie. In Ländern wie den USA werden Emotionen offen gelebt und ausgedrückt, weswegen Bewegungen der Mundgegend zum Ausdruck von Emotionen hier sehr ausgeprägt sind und auch negative Emotionen wie Angst offener gezeigt werden.
Auffällig ist bei Japanern ebenfalls, dass sie mehr auf die Stimme achten als westlicher lebende Menschen. Der Grund dafür liegt in der Schwierigkeit, emotionale Hinweise in der Stimme zu verstecken. Diese Unterschiede können aber auch zu Missverständnissen führen. Sind wir es gewohnt, Emotionen am Gesicht abzulesen, können sprachliche Hinweise, die auf die eigentliche emotionale Lage hinweisen, leicht überhört werden. Es ist somit wichtig, gegenüber anderen Kulturen und deren Traditionen und Verhaltensweisen offen zu sein, um private und geschäftliche Kontakte knüpfen und aufrechterhalten zu können.
Fazit zum Umgang mit Angst
Angst ist eine zentrale, überlebenswichtige emotionale Regung, die unser aller Leben mehr oder weniger stark beeinflusst. Es gibt verschiedene Theorien darüber, wie Angst entsteht, wie sie wahrgenommen, ausgedrückt und interpretiert wird. Beim Umgang mit Angst spielen die Herkunft und Traditionen der Menschen eine große Rolle sowie deren individuelle Erfahrungen und genetische Veranlagungen. Sind uns unsere eigenen Ängste und die Gründe dafür bewusst, lassen sie sich bewusster wahrnehmen und steuern.
Nur wer Angst verspüren kann, kann auch Mut beweisen.
von Dalai-Lama, buddhistischer Mönch
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Kommentar von Theodor W. |
Eine interessante Übersicht zur Angst und verschiedener Zugänge zu diesem Begriff. Ich denke, es ist auch interessant, Angst von Furcht zu unterscheiden.
Antwort von Selina Kern
Hallo Theodor,
Vielen Dank für dein Feedback. Freut mich zu hören, dass dir der Artikel gefällt!
Liebe Grüße,
Selina
Kommentar von Bella A. |
Hallo Selina, hallo Theodor,
Wie unterscheidet sich Angst von Furcht und äußert sich das ebenfalls in Gesichtsausdruck und kulturelle Unterschiede?
Ich würde gerne noch einen Artikel darüber lesen, wie wir mit interkulturelle Unterschieden (hinsichtlich Emotionen) generell umgehen sollen. Ich für meinen Teil finde es schwer zu erkennen, in welchem Teil der Welt ich mich WIE verhalten soll, um der jeweiligen Kultur gerecht zu werden.
LG Bella
Antwort von Selina Kern
Liebe Bella,
Danke für deinen Kommentar. Furcht richtet sich grundsätzlich immer gegen eine spezifische Gefahr, während Angst diffusere Gründe haben kann. Die körperlichen Symptome sind dabei nicht klar zu unterscheiden, Furcht geht aber mit stärkeren Reaktionen einher und klingt meist schneller ab als eine Angstreaktion.
Die interkulturellen Unterschiede sind auf jeden Fall ein breiteres Thema, auf das ich noch genauer eingehen werde. Danke für die Anregung!
Liebe Grüße,
Selina