
Hansei: Selbstreflexion im Lean Management
Passiert einer Führungskraft in Deutschland ein Fehler, wird oft versucht, diesen zu vertuschen, bevor die Mitarbeitenden davon erfahren. Das öffentliche Eingeständnis von Fehlern wird bei uns als Schwäche gesehen, und das, obwohl Fehler immer auch eine Lernmöglichkeit repräsentieren. In der japanischen Kultur hingegen stehen die Menschen zum eigenen Fehlverhalten und versuchen, sich folglich zu bessern. Dies trifft nicht nur auf Führungskräfte zu, sondern auch auf Politiker*innen, die sich in der Öffentlichkeit für Fehltritte entschuldigen und nach einer gewissen Zeit des Rückzugs ihre Rolle wieder einnehmen. In der japanischen Sprache gibt es auch ein Wort, das dieses Phänomen beschreibt: Hansei. Was Hansei bedeutet, was Sie selbst von dieser Philosophie der Selbstreflexion lernen können und warum es ein zentraler Teil von Lean Management ist, lesen Sie bei zweikern.
Was ist Hansei?
Ins Deutsche übersetzt bedeutet Hansei so viel wie Reflexion und beschreibt das Nachdenken über die guten und die schlechten Aspekte von sich selbst im Allgemeinen oder dem eigenen Verhalten in spezifischen Situationen. Hansei kann auch als Introspektion gelesen werden, sprich als eine nach innen gerichtete Beobachtung, die dazu dient, das eigene Erleben und Verhalten zu analysieren. Ursprünglich Teil der östlichen Philosophie und Religion lernen japanische Schulkinder die Bedeutung von Hansei bereits in jungen Jahren. Aber auch die Welt der Unternehmen macht sich Hansei zunutze, allen voran der Automobilhersteller Toyota. Hansei wird dabei unter anderem nach Abschluss eines Projekts genutzt, um unabhängig von Erfolg oder Misserfolg des Projekts, die guten und die schlechteren Erfahrungen zu reflektieren.
Anstatt für Erfolge und erreichte Ziele lang und breit gelobt werden zu wollen, ist es in der japanischen Kultur üblicher, darüber zu reflektieren, was noch besser hätte sein können. Dieser Ansatz ist ein zentraler Teil des im Lean Management angestrebten Ziels der kontinuierlichen Verbesserung. Fehler und Schwachstellen zu finden und dabei ehrlich zu sein, kann für ein Unternehmen ein wichtiges Instrument für Innovation sein. Besonders in einer Kultur des Perfektionismus ist der offene Umgang mit Schwäche jedoch kein leichter. Eine offene Lernkultur innerhalb des Unternehmens zu kommunizieren, den Worten jedoch keine Taten folgen lassen, nährt Misstrauen und ist deshalb kontraproduktiv.
Hanseikai: Reflexion in Projekten
Hansei kann sowohl auf Gruppen- als auch auf Personenebene in eine Organisation integriert werden. Eine auf Gruppenebene durchgeführte Reflexion über die Erfolge und die Verbesserungsmöglichkeiten eines Projekts wird auch Hanseikai („-kai“ steht für Meeting) genannt. Diese Meetings werden unabhängig vom Scheitern oder Gelingen des Projekts gehalten und binden alle beteiligten Mitarbeitenden ein. Auch wenn ein Prozess reibungslos verlief und ohne Probleme umgesetzt wurde, gibt es immer Aspekte, die noch weiter verbessert werden können. Fehler zu akzeptieren und zu verstehen, fördert nicht nur einen positiveren Umgang mit sich selbst, sondern auch mit den Mitmenschen. Zeigen wir uns selbst gegenüber Mitgefühl und Akzeptanz, breitet sich diese Sichtweise auch eher im ganzen Unternehmen aus. Hansei kann auf unterschiedlichste Weise umgesetzt werden, orientiert sich aber meist an einem Leitfaden bestehend aus vier Schritten.
Zentrale Elemente von Hansei
1. Problembewusstsein schaffen
Ein Problem kann erst gelöst werden, wenn es als solches erkannt wird. Hansei legt den Fokus auf persönliche Schwachpunkte, statt auf Fehler der Prozess- oder Systemebene. Es ist auch kein typisches Tool der Personalabteilung, sondern vielmehr ein Weg, über sich selbst nachzudenken. Über persönliche Misserfolge zu reflektieren ist für viele Menschen nicht einfach, der erste Schritt besteht bereits darin, zu erkennen, dass es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
2. Verantwortung übernehmen
Im nächsten Schritt wird für die erkannten Fehler die Verantwortung übernommen. Geschieht dies nicht, wird die Schuld ständig bei anderen gesucht. Die Folge davon sind Missgunst und Konflikte, während wertvolle Lernmöglichkeiten aufgrund von Stolz nicht erkannt werden. Ein weit verbreiteter Abwehrmechanismus ist die Rechtfertigung von Fehlurteilen. Diese Verweigerung von Verantwortung für die eigenen Taten hindert Selbstreflexion und dadurch auch Selbstverbesserung. Besonders die Arbeit im Team bedarf eines hohen Grades an Verantwortungsübernahme. Nach außen hin übernimmt dabei oft der Teamleiter die Verantwortung, während das gesamte Team gemeinsam an einer Problemlösung arbeitet.
3. Emotionale Verbindung erkennen
Warum fällt es uns oft so schwer, Verantwortung für Fehler zu übernehmen, auch wenn wir keine ernsten Konsequenzen zu befürchten haben? Ein Grund dafür ist die unbewusste Verknüpfung von Fehlern mit Angst und Scham. Eine produktive Lernkultur beschämt Mitarbeitende deshalb nicht für Fehler, sondern versucht, Verbesserungsmöglichkeiten zu finden. Selbstreflexion ist eine Fähigkeit, die trainiert werden muss. Dabei können Fragen helfen, die darauf abzielen, die Motive und Gedankengänge hinter Handlungen zu identifizieren.
4. Verbesserung umsetzen
Im vierten und letzten Schritt wird ein Plan erstellt, wie die Verbesserung umgesetzt werden kann. Selbstreflexion ohne Verpflichtung zur Veränderung bleibt ohne Konsequenzen. Mit einem konkreten Plan, wie Fehler in Zukunft vermieden werden können, kann kontinuierliche Verbesserung auch tatsächlich stattfinden. Auf Gruppenebene arbeitet das ganze Team zusammen, um eine Lösung zu finden und umzusetzen. Offene Fragen können dabei helfen, kontinuierliche Verbesserung zu erleichtern. Was kann in Zukunft verhindern, dass das Problem erneut auftritt?
Fazit zu Hansei
Hansei ist eine bewährte Methode, persönliche und berufliche Verbesserung durch Selbstreflexion zu erreichen. Reguläre Reflexions-Meetings können helfen, Probleme vorzeitig zu erkennen und zu lösen. Um den Prozess von Hansei in einem Unternehmen einzuleiten, muss gelernt werden, Fehler zu akzeptieren und anderen zu ermöglichen, die Verantwortung für eigene Fehler zu übernehmen. Sind alle Mitarbeitenden in der Lage, zu reflektieren, eine Lösung zu suchen und weiterzumachen, kann kontinuierliche Verbesserung erfolgen.
Fehler sind das Tor zu neuen Entdeckungen.
Von James Joyce
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