Introvertierte im Job: Unterschätzte Underdogs
Jeder kennt es bereits aus der Schulzeit: Die lauten, aktiven Kinder bekommen von den Lehrern geballte Aufmerksamkeit, während die stillen, ruhigen Kinder unbemerkt im Hintergrund bleiben. Dieses Muster kann bis ins Berufsleben und darüber hinaus noch beobachtet werden. Vor allem in einer vom ständigen Wandel geprägten Gesellschaft kommen diejenigen voran, die es verstehen, aufzufallen, sich selbst zu verkaufen und in Erinnerung zu bleiben. Das kann extrovertierten Menschen gegenüber introvertierten einen wesentlichen Vorteil verschaffen, wenn es darum geht, Karriere zu machen. Doch woher kommen diese Unterschiede, was davon sind Vorurteile und gibt es wirklich einen Persönlichkeitstyp, der es im Berufsleben leichter hat?
Extraversion vs. Introversion
Im wissenschaftlichen Fachjargon unterscheidet man zwischen Introversion und Extraversion als Persönlichkeitsmerkmale, welche ursprünglich vom Begründer der analytischen Psychologie Carl Gustav Jung (1875-1961) stammen. Menschen strikt in die Schubladen extrovertiert oder introvertiert zu schieben, ergibt dabei allerdings oft wenig Sinn. Niemand ist ausschließlich extrovertiert oder introvertiert, die meisten Menschen befinden sich irgendwo in der Mitte des Spektrums.
Denkt man an extrovertierte Personen, werden diese oft mit den Eigenschaften kommunikativ, aktiv, gerne im Mittelpunkt stehend und offen verbunden. Die grundlegende Haltung und Einstellung dieser Menschen sind dabei eher nach außen gerichtet. Extrovertierte suchen stimulierende Situationen auf, während diese für Personen am anderen Ende des Spektrums eher zu Reizüberflutungen und einem Gefühl der Überforderung führen könnten.
Typisch introvertierte Menschen werden dagegen als ruhig, still und zurückhaltend wahrgenommen. Sie nehmen starke äußere Reize eher als sehr intensiv wahr und neigen dazu, ruhige Rückzugsorte aufzusuchen, wenn die Energiespeicher leer werden. Der Grund für diese verschiedenen Reaktionen auf Reize der Persönlichkeitstypen sind unterschiedliche Erregbarkeiten bestimmter Hirnareale (Kagan & Snidman, 2009; Psychologen). Dabei werden ungehemmte Kinder zu frohen, offenen Teenagern und gehemmte Kinder sind auch später eher ruhiger und introvertierter.
Dabei ist natürlich die Art und Weise, in der sich diese Merkmale ausdrücken, so verschieden und individuell wie die Menschen selbst. Nicht jede/r Introvertierte ist schüchtern, wie man an einem der reichsten Männer der Welt, Bill Gates, beobachten kann. Ebenso gibt es extrovertierte Menschen, die sehr schüchtern sind. Menschen, die dabei je nach Situation und Stimmung zwischen extrovertiert und introvertiert schwanken, nennt man auch ambivertiert. Sind Extraversion oder Introversion besonders stark ausgeprägt, kann es auf beiden Enden der Skala sogar zu Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus bei extrovertierten und sozialen Phobien bei introvertierten Menschen kommen.
Extrovertiert = Erfolgreich?
Dadurch, dass sich extrovertierte Menschen im Scheinwerferlicht wohl fühlen und dieses aktiver aufsuchen, sieht man diese Persönlichkeitstypen auch öfter in Führungspositionen. Sie haben weniger Scheu, auf Menschen zuzugehen und ihr Netzwerk auszubreiten. Das kann ihnen sowohl im Privatleben als auch in der Berufswelt einen entscheidenden Vorteil gegenüber introvertierteren Menschen verschaffen. Oft bleiben uns laute, auffällige und offene Menschen eher in Erinnerung. Geht es dann darum, eine Führungsposition neu zu besetzen, stechen diese Personen (teilweise unabhängig von tatsächlich für die Stelle relevanten Qualifizierungen) eher hervor.
Eine 2018 veröffentlichte Studie von Spark und Kollegen fand als Grund für die oft beobachtete Häufung an extrovertierten Menschen in Führungspositionen einen ähnlichen Grund. Introvertierte Menschen neigen eher dazu, nicht an Führungspositionen interessiert zu sein, weil sie die damit einhergehenden, extrovertierten Verhaltensweisen als unangenehm empfinden.
Aber bedeutet das auch, dass extrovertierte Menschen bessere Führungskräfte sind? Beide Typen können unter den richtigen Bedingungen sehr erfolgreich sein. Dies hängt laut Grant und Kollegen (2011) stark von den Persönlichkeitstypen der Mitarbeitenden ab. Sind diese passiv, können sie von extrovertierten Führungskräften profitieren. Umgekehrt erreichen proaktive Mitarbeitende unter introvertierterer Führung bessere Leistungen.
Die unterschätzten Underdogs
Dass momentan viele Unternehmen auf Homeoffice umgestiegen sind, bringt für viele Introvertierte wesentliche Vorteile mit sich. Denn ohne die ständige Geräuschkulisse, dem Smalltalk und den Ablenkungen schaffen es diese Menschen leichter, sich in Themen zu vertiefen und Aufgaben konzentriert nachzugehen. Sie gelten oft als beliebte Gesprächspartner, da sie meist lieber zuhören und Dinge auch gut für sich behalten können. Präsentationen und Reden werden eher den extrovertierten Kollegen und Kolleginnen überlassen, wodurch diese oft hervorstechen. Durch den digitalen Wandel werden jedoch mehr und mehr Face-to-Face-Interaktionen durch digitale und virtuelle Kontakte abgelöst, was die Stärken von introvertierten Menschen immer mehr hervorhebt.
Das beginnt bereits beim Bewerbungsgespräch. Wer sich gut verkaufen kann, aber auf dem Lebenslauf schummelt, wird durch die steigende digitale Vernetzung und Transparenz schnell aufgedeckt. Zudem finden viele Bewerbungsprozesse mittlerweile zumindest im ersten Schritt über soziale Medien und das Internet statt. Damit verschwindet auch die Möglichkeit, fehlende Fertigkeiten durch Sympathie zu überdecken.
Das Beste aus beiden Welten
Um die unterschiedlichen Stärken und Schwächen verschiedener Persönlichkeitstypen zu fördern, sollten Unternehmen Bedingungen schaffen, in denen sich Menschen an beiden Enden des Spektrums einbringen können. In Großraumbüros können manche Mitarbeitende aufblühen, während andere dabei ständige Reizüberflutung empfinden. Introvertierte sollten die Möglichkeit haben, ohne Ablenkungen und lauten Hintergrundgeräuschen ihrer Arbeit nachgehen zu können, sollten sie dies bevorzugen. Extrovertierte sollten ihren Drang nach Stimulation und sozialen Interaktionen auch befriedigen können. Vorgesetzte können hier helfen, indem sie auf Mitarbeitende zugehen und Arbeitsbedingungen so weit wie möglich deren individuellen Bedürfnissen anpassen.
Obwohl introvertierte Menschen oft lieber im Hintergrund arbeiten, das Präsentieren anderen überlassen und damit auch weniger auffallen, sollten finanzielle und soziale Ungleichheiten unterbunden werden. Fühlen sich Menschen aufgrund ihres Persönlichkeitstyps unfair behandelt, schaden Unternehmen damit langfristig nicht nur den Mitarbeitenden, sondern auch sich selbst. Dass man verschiedenen Arbeitnehmertypen innerhalb einer Organisation gerecht werden kann, zeigt beispielsweise Google. Trotz der vielen Großraumbüros wird versucht, flexible Arbeitsplatzmodelle zu schaffen und so individuelle Vorlieben zu berücksichtigen. Es liegt letztendlich auch an den Mitarbeitenden selbst, die jeweilige optimale Arbeitsatmosphäre bei ihren Vorgesetzten einzufordern.
Fazit zu Introvertierten im Job
Trotz ihrer Unterschiede können sich extro- und introvertierte Menschen sowohl im privaten, als auch im beruflichen Rahmen gut ergänzen, wenn sie die Eigenheiten des anderen akzeptieren und respektieren. Unternehmen können von beiden Wesensarten profitieren, sowohl vom offenen Temperament der Extrovertierten als auch von der gelassenen Ruhe der Introvertierten. Hinter den Schubladen „extrovertiert“ und „introvertiert“ stecken immer reale Menschen, die in all ihren Ähnlichkeiten und Unterschieden respektiert und gefördert werden wollen.
Stärken stärken, Schwächen vergessen.
Von Petra Ahrendt, Mitarbeiterin bei zweikern
Literatur:
Grant, A. M., Gino, F., & Hofmann, D. A. (2011). Reversing the extraverted leadership advantage: The role of employee proactivity. Academy of management journal, 54(3), 528-550.
Kagan, J., & Snidman, N. (2009). The long shadow of temperament. Harvard University Press.
Spark, A., Stansmore, T., & O'Connor, P. (2018). The failure of introverts to emerge as leaders: The role of forecasted affect. Personality and Individual Differences, 121, 84-88.
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