
Psychisch instabil #2: So verhalte ich mich als Führungskraft
In dieser Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit dem Thema mentale Gesundheit und Krankheit am Arbeitsplatz steigen wir noch etwas tiefer in die Thematik ein. Wir schauen uns intensivere Beispielsituationen an und verfolgen diese Betrachtungen vor allem aus der Perspektive einer Führungskraft. Denn als Leitungsperson hat man noch einmal eine kritischere Rolle inne und muss in gewissen Fällen einen noch sensibleren Umgang pflegen und trägt in anderen Fällen wiederum etwas mehr Handlungsverantwortung als Mitarbeitende. Wie man sich richtig verhalten kann und welche Unterstützungsangebote man für das Unternehmen heranziehen könnte, sollen hier näher beleuchtet werden.
Das richtige Gespür
Sei es als Leitung eines Teams, einer Abteilung oder in der Unternehmensführung. Sobald es an die mentale Gesundheit von Angestellten geht, gilt es, den Fall mit besonderer Sensibilität, Seriosität und Respekt zu behandeln. Es kann sein, dass einem eine Veränderung bei einem Angestellten selbst auffällt oder aber besorgte Kolleginnen einen darauf hinweisen. Ab dem Moment jedenfalls, wo der Verdacht aufkommt, dass es Mitarbeitenden psychisch nicht gut geht, sollte man im Umgang mit der Situation seine Verantwortung sehen. Berührungsängste oder Hemmungen sind in dem Fall in einer Führungsposition nicht angebracht. Es gilt, mit gutem Beispiel voran zu gehen und sicheres Handeln vorzuleben. Das heißt natürlich noch lange nicht, dass ein professionelles psychosoziales Verhalten verlangt wird. Es kann genauso gut ein externes Angebot zurate gezogen werden. Wichtig ist nur, zu signalisieren, dass man hinschaut und Verantwortung für das Wohlbefinden seiner Belegschaft übernimmt.
Konkrete Beispiele
Nehmen wir zuerst den Fall an, dass es einer Person seit einer Zeit schlecht zu gehen scheint. Sie fehlt häufiger und länger bei der Arbeit und wenn sie da ist, scheint sie müde, unkonzentriert und gereizt. Dies ist Ihnen ab dem Zeitpunkt aufgefallen, als bereits zum zweiten Mal eine Deadline versäumt wurde. Zusätzlich haben ihnen zwei Kollegen im vertraulichen Gespräch ihre Sorgen vermittelt. Hier könnte ein einfaches Gespräch reichen, in dem an professionelle Unterstützungsangebote weiterverwiesen wird. Sofern eine gesunde und vertraute Arbeitsbeziehung herrscht, können Sie das Gespräch persönlich suchen. Dieses sollte an einem Ort stattfinden, wo Privatsphäre garantiert ist und die Person sich wohlfühlen kann. Möglicherweise ist das Büro der Führungsperson nicht immer der geeignete Raum. Besser wäre vielleicht ein neutraler Ort.
Es sollte direkt am Anfang des Gesprächs klargestellt werden, dass es hierbei nicht um eine Leistungsbeurteilung gehe. Sie könnten damit eröffnen, dass Sie sich Sorgen machen, da Ihnen ein paar Veränderungen an der Person aufgefallen seien, die Sie sonst nicht von ihr kennen würden. Signalisieren Sie, dass Ihre Absicht nur darin besteht, zu unterstützen. Wenn die Person bestätigt, dass es ihr aktuell nicht gut gehe, sollte nicht weiter nach den genauen Hintergründen gebohrt werden, außer die Person öffnet sich von sich aus. Für Sie ist es in dem Moment nicht wichtig, worum es geht, nur wie unterstützt werden kann.
Unter keinen Umständen sollte Druck ausgeübt werden oder gar mit der Kündigung gedroht werden. Stattdessen sollte signalisiert werden, dass es dem Unternehmen wichtig ist, seine Mitarbeitenden zu halten, auch wenn es ihnen phasenweise nicht so gut gehe. Geht die Person tatsächlich auf Ihr Gesprächsangebot ein und bestätigt, dass sie psychisch momentan nicht gut drauf ist, können Sie ihr zureden, professionelle Unterstützungsangebote wahrzunehmen. Darauf können Sie sich vorbereiten. Eine Liste mit Anlaufstellen, wie Selbsthilfegruppen, der lokalen Krisenstelle oder therapeutischen Angeboten können Sie sich jederzeit zusammenstellen und in Ihrem Büro bereithalten. Es ist oft schon hilfreich, wenn der betroffenen Person der erste Schritt der Recherche schon abgenommen wurde. Mit einer konkreten Adresse in der Hand, steigt die Wahrscheinlichkeit, ein Hilfsangebot aufzusuchen.
Panikattacken am Arbeitsplatz
Unser zweites Beispiel für eine mögliche psychosoziale Herausforderung ist eine Panikattacke am Arbeitsplatz. Panikattacken sind Teil verschiedener psychischer Erkrankungen, treten jedoch meist im Rahmen von Angst- und Sozialstörungen auf. Eine Panikattacke kann aber im Grunde auch ohne vorliegende psychische Erkrankung auftreten und jeden von uns mal betreffen.
Hat eine Person häufiger Panikattacken, weil sie Teil ihres Störungsbildes ist, kennt sie sich selbst damit wahrscheinlich gut aus. Sie kann die Anzeichen erkennen und im besten Fall sogar rechtzeitig handeln, um sich zu beruhigen oder an einen sicheren Ort zu gehen. Eine Panikattacke fühlt sich für die betroffene Person sehr schlimm an. Die meisten Menschen, die eine solche schon einmal oder mehrfach erlebt haben, beschreiben oft, dass sie Angst haben, zu sterben. Häufig werden psychosomatische Reaktionen, wie Herzrasen, erhöhter Blutdruck oder Schwitzen als Zeichen gedeutet, dass „mit dem Körper etwas nicht stimmt“. Viele berichten, Angst zu haben, einen Herzinfarkt zu erleiden. Ausgelöst werden Panikattacken durch verschiedene Reize. Sind sie an ein Störungsbild gekoppelt, wie etwa eine Sozialphobie oder Platzangst, können Menschenansammlungen oder enge Räume die Reaktionskette lostreten, die in einer Panikattacke mündet. Aber auch Alltagsbedingungen, wie Überforderung, unerwartete schlechte Neuigkeiten und manchmal gar kein ersichtlicher Auslöser können zum Auftreten einer Panikattacke führen.
Passiert dies am Arbeitsplatz, ist es wichtig, die Person in ihren Ängsten ernst zu nehmen und die Panikattacke nicht als Überreaktion herunterzuspielen. Am besten, sollte man das Geschehene unbewertet lassen (also keine Sätze, wie „Was regst du dich denn so auf?“ oder „Es gibt keinen Grund, so über zu reagieren.“). Jedoch kann man ihr vermitteln, dass sie sicher ist und nichts passieren kann.
Einen Arzt sollte man nur dann rufen, wenn tatsächlich der Verdacht auf eine körperliche Ursache gegeben ist. Ansonsten kann dies die Reaktion noch verstärken und die Person in ihrer Sorge bestätigen, dass gerade etwas Schlimmes passiert. Hilfreiche Unterstützung kann sein: bei der Person bleiben (Körperkontakt jedoch nur nach Einwilligung!), gemeinsam in einen ruhigen Atemrhythmus finden, ein Glas Wasser bringen, Schaulustige wegschicken, die Person auf das Hier und Jetzt fokussieren (Wir sind gerade hier in meinem Büro. Alles ist gut, nichts kann passieren. Draußen scheint die Sonne. Ich höre Vögel zwitschern. Spürst du den Teppichboden unter den Füßen? Riechst du den Kaffee aus der Küche?). Besonders wichtig ist es in dem Moment, andere Personen, die potenziell als Schaulustige von der Betroffenen wahrgenommen werden können, wegzuschicken. Ansonsten kann dies für Betroffene in ein traumatisches und ausgeliefertes Erleben der Situation münden.
Also noch einmal kurz zusammengefasst: Erkennen, ernstnehmen, sicheren Raum schaffen, beistehen, atmen.
Kompetent werden, die eigenen Grenzen erkennen
Trotz all der Verantwortung, die man als Führungskraft trägt, sollte man dennoch immer im Kopf behalten, dass man (meist) keine ausgebildete psychologische Fachkraft ist. Das heißt, man sollte erstens nicht versuchen, so zu handeln und Dinge im schlimmsten Fall noch schlimmer machen. Das heißt aber auch, dass niemand von Ihnen erwartet, ein therapeutisches Konzept durchzuführen.
Das Beste, was Sie als Leitungsfigur tun können und sollten, ist für die nötigen Strukturen im Unternehmen zu sorgen, welche als Anlaufstellen bei psychischer Belastung dienen können. Wenn es in Ihrer Anwesenheit oder unter Ihrem Wissen zu einer psychischen Krise oder Belastung kommt, sehen Sie hin und bieten Sie Unterstützung. Darüber hinaus, vermitteln Sie an professionelle Hilfeangebote. Was man ansonsten sehr empfehlen kann, sind Angebote, wie das des internationalen Programms „Mental Health First Aid“, welches seit einigen Jahren auch in Deutschland besteht. Dies ist ein zweitägiges Angebot, das interessierten Mitarbeitenden durch externe Fachkräfte vermittelt wird. Dabei geht es darum, Laien darin zu schulen, sich sicherer im Umgang mit psychischer Belastung im Umfeld zu fühlen. Man wird sozusagen zum psychologischen Ersthelfer, wenn auch auf sehr niederschwelligem Level. Dieses Angebot zur Verfügung zu stellen, kann der Belegschaft Kompetenz und Sicherheit verschaffen und dem Unternehmen ein stabileres mentales Klima.
Tue nichts, was du nicht verantworten kannst, aber tue alles, dessen Unterlassung du verantworten müsstest.
von Peter Cerwenka
Einen Kommentar schreiben