Das SCARF-Modell: Mit Neuroleadership Teamkonflikte vermeiden
In der letzten Woche habe ich im Blogartikel „Auf den Kern gebracht #8: Neuroleadership“ dargelegt, wie es mithilfe neuropsychologischer Forschung gelingt, Phänomene in den Wirtschaftswissenschaften zu erklären. Diese Woche soll es darum gehen, wie man mithilfe von Neuroleadership und im speziellen mit dem SCARF-Modell Teamkonflikte vermeiden kann.
Neuroleadership Recap
Die Hirnforschung hat in den letzten Jahrzehnten einige Erkenntnisse zutage gebracht, die das Erleben und Verhalten von Mitarbeitenden innerhalb eines Unternehmens erklären können. Ausführliche Erklärungen zu den einzelnen Bedürfnissen mit Studienergebnissen und Beispielen lesen Sie im Artikel Auf den Kern gebracht #8: Neuroleadership.
Das Bedürfnis nach Bindung ist nicht nur für die erste Eltern-Kind-Beziehung von zentraler Bedeutung, sondern auch in unserem Erwachsenenleben dienen tiefgreifende zwischenmenschliche Verbindungen dazu, unsere Rolle innerhalb eines Teams zu finden und Anerkennung zu bekommen.
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle kennzeichnet sowohl den eigenen Einfluss auf die Arbeitsumgebung als auch nachhaltiges Feedback vonseiten der Führungskräfte. Unklarheit im Sinne von fehlenden Informationen sind Gift für dieses Bedürfnis.
Auch das Bedürfnis der Selbstwerterhöhung spielt im Rahmen des Arbeitskontextes eine wesentliche Rolle. Eine permanente Selbstreflexion ist Grundlage dieses Bedürfnisses. Selbsterhöhung gelingt häufig dann, wenn das eigene Selbstbild mit positivem Feedback von anderen Mitmenschen aus meiner Umgebung gespeist wird.
Zuletzt ist das Bedürfnis des Lustgewinns und der Unlustvermeidung eine Voraussetzung dafür, ob ein Mitarbeitender Arbeitskontexte vermeidet oder aufsucht, weil sie ihm Freude oder Unbehagen bereiten. Gerade dieses Bedürfnis spielt eine große Rolle bei der Zusammenarbeit, denn Mitarbeitende, die sich in Teams aus bestimmten (sozialen) Gründen unwohl fühlen, werden ihr volles Potenzial nie in einer Projektarbeit abrufen können.
Das SCARF-Modell
Das SCARF-Modell nach dem Unternehmensberater David Rock (2009) fußt auf der Annahme, dass wir neue Informationen innerhalb weniger Sekunden in Bedrohungen und Belohnungen klassifizieren. Ziel dieses Modells ist es, Handlungsmuster zu etablieren, die Belohnungen im Unternehmenskontext zu minimieren und das Belohnungssystem zu aktivieren. Mit diesem Modell hat man also nicht nur die Möglichkeit, im Unternehmen einen Ort der Wertschätzung und des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen, sondern bekommt auch eine Erklärung darüber, wieso vereinzelt Mitarbeitende auf bestimmte Maßnahmen mit einer Abwehrhaltung reagieren.
SCARF ist ein Akronym, das aus den Anfangsbuchstaben der einzelnen Dimensionen des Modells zusammengesetzt ist.
1. Status
Die erste Dimension „Status“ bezeichnet die relative Stellung der Personen zueinander. Status macht sich dadurch bemerkbar, dass ein Individuum das Gefühl hat, wertvoll und im optimalen Fall unentbehrlich im Unternehmenskontext zu sein. Der Status wird dadurch beeinflusst, welches Feedback man von seinen Mitmenschen erhält. Im Arbeitskontext steigert bzw. senkt sich der Status vor allem durch das Feedback der Führungskraft. Auch Beförderungen dienen dazu, den Status zu erhöhen, allerdings sollte dies nur der letzte Schritt der Belohnung sein, da diese Motivation extrinisch ist und den Mitarbeitenden nicht nachhaltig zufrieden macht und an das Unternehmen bindet.
Ist der Status eines Mitarbeitenden gering, indem er z. B. wenig oder schlechtes Feedback für gute Leistungen erhalten hat, wird dieser Mitarbeitende eher dazu neigen, Teamsituationen zu vermeiden. Auch wird dieser Mitarbeitende ein bedrohliches Gefühl haben, wenn er zum Feedbackgespräch gebeten wird. Er wird negative Rückmeldung vermuten und im Zuge dessen eine Verringerung seines Status befürchten, die zu Vermeidung und Rückzug führt.
Als Führungskraft sollten Sie dieses Verhalten des Mitarbeitenden einordnen können und reflektiert für sich Konsequenzen ziehen: Dieser Mitarbeitende braucht eine Erhöhung seines Status durch kontinuierliches, konstruktives Feedback. Anerkennung ist in diesem Fall eine einfache Lösung, damit diese Personen mit einem erhöhten Selbstwert an einem Projekt teilnehmen können.
2. Certainty (Sicherheit)
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ein vielzitierter Spruch, hinter dem sich einiges an Wahrheit verbirgt. Unser Gehirn versucht stets, neue Situationen durch wahrgenommene Muster aus unserer Umwelt vorherzusagen. Unvorhergesehene Ereignisse sind potenzielle Stressoren, für die das Gehirn mehr Energie aufwenden muss. Dies beeinflusst unser Arbeitsgedächtnis und damit unsere Leistung negativ. Die Theorie ist also, dass gewohnte oder vorhersehbare Ereignisse Kapazitäten sparen und somit ein Gefühl der Sicherheit auslösen können.
Im Team sollten die Rahmenbedingungen von Zusammenarbeit und die Erwartungen an das Projekt also transparent kommuniziert werden und das Projektziel in kleinere Teilziele unterteilt werden. Organisatorisches und die Rahmenbedingungen, unter denen man gemeinsam im Team arbeiten will, können auch gemeinsam erarbeitet werden. Unsicherheit und Chaos aufseiten der Projektleiter führen hingegen zu einem Risiko für die Leistung des gesamten Teams.
3. Autonomy
Autonomie bedeutet, dass Mitarbeitende ihre Arbeit frei gestalten können und ein gewisses Maß an Kontrolle über ihr Arbeitsumfeld haben. Autonomie ist dabei nicht objektivierbar. Das bedeutet, dass wahrgenommene Autonomie in einer bestimmten Situation von zwei Menschen unterschiedlich bewertet werden kann. Das liegt einerseits daran, dass man unterschiedliche Erfahrungen hinsichtlich Autonomie macht. Andererseits spielt die Persönlichkeit eine große Rolle, ob man mehr oder weniger Autonomie empfindet. Grundsätzlich kann man sagen, dass die Freiheit zu wählen, eng mit dem Gefühl der Autonomie verknüpft ist. In diesem Zusammenhang steht auch der Begriff der Selbstverantwortung bzw. Selbstführung (LINK). Vorgesetzte sollten Freiräume schaffen in der Umsetzung von Projektzielen und möglichst wenig in Arbeitsprozesse eingreifen. Zum Bedürfnis Autonomie zählt auch, dass man die Möglichkeit hat, seine Zukunft mitzugestalten. So könnte zum Beispiel ein Mitarbeitender Mitglied im Betriebsrat werden, um dort seine Erfahrungen und Meinung zu zukünftig relevanten Themen beizutragen. Innerhalb des Teams steigt das Gefühl von Autonomie, wenn sich Mitarbeitende offen über Einstellungen und Standpunkte unterhalten können, ohne Konsequenzen seitens der Führungskraft befürchten zu müssen.
4. Relatedness (Verbundenheit/ soziale Beziehungen)
Das Bedürfnis nach Verbundenheit beschreibt das Gefühl, einer Gruppe zugehörig zu sein. Schließt sich ein Mitarbeitender einer (Arbeits-)gruppe an, schenkt er der Gruppe Vertrauen und versucht, seine Gruppe zu schützen. Es wird der Botenstoff Oxytocin ausgeschüttet, der die Bindung innerhalb der Gruppe verstärkt. Fühlt sich ein Mitarbeitender jedoch von seiner Arbeitsgruppe ausgeschlossen, werden im Gehirn Bereiche aktiviert, die sonst nur bei physischem Schmerz aktiviert sind. Der Mitarbeitende fühlt sich einsam.
Das Bedürfnis nach Verbundenheit kann durch Förderung von zwischenmenschlichem Kontakt gestärkt werden. Mitarbeitende, die viel in Austausch mit ihren Kollegen gehen, sei es bei einer Kaffeepause oder bei Teamevents, versuchen sich stärker an die Gruppe zu binden und schätzen das Gefühl der Verbundenheit. Auf dieses Bedürfnis wirken sich außerdem Coaching-Programme positiv aus.
5. Fairness
Die Dimension Fairness schließt das Bedürfnis eines Menschen nach einem gerechten zwischenmenschlichen Austausch ein. Empfindet ein Mitarbeitender im Unternehmen eine unfaire Behandlung, löst das im Gehirn eine starke Bedrohungsreaktion aus, die sich erst auflöst, wenn wieder Gerechtigkeit herrscht. Individuen fällen Urteile über Fairness stets über einen Vergleich mit ihren Mitmenschen (ähnlich wie bei der Dimension „Status“). Wenn die Arbeitsleistung beider Personen als gleichwertig erachtet wird, empfindet das Individuum Gerechtigkeit bzw. eine faire Behandlung. Um Fairness in Teams zu unterstützen, sollten vorab Regeln festgelegt werden, die für alle Teilnehmenden gelten und auch umgesetzt werden.
Fazit zum SCARF-Modell
Die Führung von Teams oder Projektgruppen ist oftmals nicht leicht. Mit dem SCARF-Modell wird eine Option dargestellt, wie man mithilfe von psychologischen und neurologischen Parametern Verhalten von Mitarbeitenden einschätzen kann. Neuroleadership steckt noch in den Kinderschuhen, doch bietet es schon jetzt eine Möglichkeit, neuropsychologische Erkenntnisse dazu zu nutzen, teamförderliches Verhalten zu stärken und zu erkennen, wieso Mitarbeitende in bestimmten Situationen lieber alleine arbeiten möchten. Neuroleadership zeigt auch, dass die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns abnimmt, sobald wir uns in einer oder mehreren Dimensionen bedroht fühlen. Stärken wir jedoch die einzelnen Dimensionen durch wissenschaftlich fundierte Maßnahmen im Unternehmen, fördern sie den Austausch und die Produktivität von Mitarbeitenden.
Das Team ist der Starspieler bei Manchester United.
Von Manuel Neuer
Literatur
Neuroleadership - Grundlagen, Konzepte, Beispiele
Erkenntnisse der Neurowissenschaften für die Mitarbeiterführung (Theo Peters, Argang Ghadiri)
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Kommentar von Alfred Pölz |
Schöne Zusammenfassung. Vielen Dank dafür. Mir gefällt die Aufbereitung eures Blogs wirklich gut.