Start-Up Kultur: Kickertische sind keine Kultur!
Hier einmal ein Nachsatz als Eröffnung:
Dieser Artikel zum Thema Start-up-Kultur ist in einer Zeit kurz vor Corona entstanden. Viele Unternehmen spüren aber gerade in dieser herausfordernden Zeit, wie wichtig engagierte Mitarbeiter für einen erfolgreichen Neustart sind. In diesem Sinne ist dieser Artikel aktueller denn je ...
Noch nie wurde soviel über den Menschen im Mittelpunkt von Unternehmen gesprochen ... und noch nie wurde dieses Thema so vernachlässigt ...
Jedes Unternehmen oder Medium schreibt sich diese Aufgabe auf die Fahnen (klingt ja auch gut). In unserer täglichen Praxis lernen wir leider immer wieder die Realität kennen ... und die ist meist völlig konträr zur publizierten Lage.
Nicht selten sitzen wir in unseren Projekten völlig aufgelösten Personalverantwortlichen und Personalentwicklern gegenüber, die oft genug beschämt sind von der großen Diskrepanz aus „bester Arbeitgeber Trophäen“ und der Wirklichkeit.
Der Mensch im Mittelpunkt?
Ich bin überzeugt, dass ein Grund für diese Missachtung darin liegt, dass viele Ratgeber und Experten zwar immer von Business Excellence, Lean Leadership und Start-up-Kultur sprechen, dabei aber den Fokus legen auf Prozesse und Tools (hier immer gerne genommen die „Virtual Reality; klingt auch super); nicht aber auf die Menschen, die diese Prozesse betreiben sollen und die Tools benutzen müssen. Es ist nun mal nicht damit getan, einen Kickertisch aufzustellen und eine VR-Brille aufzusetzen und dann zu glauben, man lebt eine Start-up-Kultur.
Der Mensch als Produktionsressource
Der Mensch ist für unsere technokrate Denkweise oft mehr ein Hindernis als ein Erfolgsfaktor.
Ich bin begeisterter Leser der einschlägigen Fachmedien, und einige Artikel lassen mir in letzter Zeit tatsächlich die Nackenhaare zu Berge stehen und machen mich auch traurig und wütend zugleich. Teilweise Meisterwerke der Ignoranz.
Der Mensch verkommt zu einer „Produktionsressource“ oder, um in der Diktion eines Beitrags zu bleiben, zu „Kanonenfutter“ ... er hat gefälligst zu gehorchen, aber bitte nicht selber zu denken. Das ist wirklich der Gipfel der Missachtung von Mitarbeitenden.
Laut dem Future Readiness Index von KPMG aus dem Jahr 2019 fühlen sich die meisten deutschen Unternehmen gut aufgestellt und fit für die Zukunft. Der Schwerpunkt der Investitionen liegt dabei auf Wachstumsfaktoren wie „Bedienung von Kundenbedürfnissen“ gefolgt von „Anpassungen an den technologischen Fortschritt“. Deutlich weniger Unternehmen bezeichnen allerdings ihre „langfristige Innovationsfähigkeit“ als zukunftsfest; trotzdem werden laut Befragung die Investitionen in diesen Bereich aber zurückgefahren. Also lieber einige Roboter mehr in der Produktion, um Kosten zu senken, als die Mitarbeiter zu befähigen, innovativ zu sein. Vielleicht drücken diese Zahlen ja auch die Hilflosigkeit vieler Unternehmen aus, die lieber etwas an den Symptomen herumdoktern als sich ernsthaft damit zu beschäftigen, ihre Mitarbeiter zu fördern. Man schreibt sich gerne Start-up-Kultur auf die Fahnen, aber gefälligst mit den Managementmethoden der 1970er Jahre.
Ein weiteres gern genommenes Merkmal ist die Agilität. 98% aller Unternehmen ist klar, dass sich dafür die Unternehmenskultur ändern muss. Vernetztes Denken, offene Kommunikation und flexible Organisation werden hier genannt. Auch hier werden vor allem wieder Methoden ins Feld geführt, um diese Anforderung umzusetzen (Scrum, Kanban). Agilität ist tatsächlich eines der häufigsten Themen auf den vielen Hochglanzplakaten in den Unternehmen. Vernetztes Denken oder offene Kommunikation entsteht aber nicht aufgrund von Methoden, sondern ausschließlich aufgrund motivierter Mitarbeiter, einer gemeinsamen Vision und Mission und einer ausgeprägten Fehlerkultur. Hier ist vor Allem die Führung in Unternehmen gefragt; die aber will sich in vielen Fällen gar nicht verändern ... da könnten ja „Königreiche“ verloren gehen.
Change Management ist mehr als nur technische Werkzeuge installieren
Jetzt aber erstmal genug schwarzgemalt. Es gibt auch in Deutschland genügend Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und feststellen, dass Veränderung nicht automatisch entsteht, indem ich hübsche Plakate aufhänge. Mitarbeiter müssen ausgebildet werden, sie müssen verstehen, wie Change funktioniert, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen. Führungskultur muss sich verändern. Schließlich funktioniert Veränderung nur, wenn ich an den 10 Pain Points für Change arbeite. Hier vor allem Commitment erzeugen, Führung anpassen, Entwicklungsperspektiven müssen aufgezeigt werden oder auch Transparenz. Es müssen also sog. Soft Skills gefördert werden (Kommunikation ist ein Soft Skill) ... und dann treffe ich auf Seminarangebote unter dem Titel „Change Management und Organisationsentwicklung“ deren Schwerpunkte auf der Vermittlung von Change-Prinzipien und dem Erlernen von QM-nahen Werkzeugen liegen. Da lese ich nicht viel heraus zu Führungskultur oder Kommunikation ... aber wichtiger Hinweis ... diese Seminare eignen sich hervorragend zur Verlängerung bestehender Zertifizierungen zum XYZ Quality Manager. Damit kann ich zumindest eine weitere Urkunde in der Personalabteilung abgeben.
Diese Seminare entstehen oftmals auf Basis von Vorgaben übergeordneter Prinzipien. Auch Six Sigma hat einen „Fahrplan in die Zukunft“ und „Business Excellence weitergedacht“. Ich zitiere das Expertennetzwerk des European Six Sigma Clubs Deutschland der mithilfe der Methode des 9-Felder-Denkens untersucht, wie sich Zukunftstrends auf Business-Excellence-Programme auswirken. So wurden die Bereiche „Mensch & Methode“ .... hier habe ich dann schon gestutzt. Menschen und Methoden in einen Sack zu stecken; das ist schon heftig. Aber nun gut, jeder wie er will und kann. Denkansätze zu „Improvement Everyone Everywhere Everytime“ oder „Collaboration“ kann ich gut nachvollziehen. Jeder bringt sich ein und arbeitet aktiv mit. Nur wie mache ich das jenseits von Methoden und Prozessen. Auch hier ist der Mensch in seiner persönlichen Entwicklung nicht im Zentrum, sondern zunehmend Beiwerk im Getriebe.
Am meisten geärgert hat mich allerdings das Handlungsfeld „Start-up Culture“. Hier werden vor allem innovative Methoden (schon wieder Methoden) wie „Design Thinking“ und „Think Tank“ aufgezählt. Für was dieses Schlagwort herhalten muss, ist fast grenzenlos. Ich kann auch nicht abschätzen, ob es so viele Start-ups überhaupt gibt wie Personen, die darüber schreiben.
Ein erfolgreiches Start-up entsteht, wenn sich Menschen finden, die eine Mission und eine Vision teilen, die sich vertrauen und sich Fehler zugestehen. Die zu 100% an ihr Produkt glauben und sich gegenseitig dabei unterstützen, die gemeinsamen Ziele zu erreichen, dazu kommen vor allem „Blut, Schweiß und Tränen“ und der Umgang mit Angst ... und das sind ausschließlich menschliche Fähigkeiten, die ich ausbilden und fördern muss und keine Methoden ... und schon gar keine Kickertische oder „Design Thinking Rooms“.
Fazit
Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat Juso-Chef Kevin Kühnert geraten, „ein paar Jahre“ zu arbeiten, bevor er ein höheres Amt in der Partei anstrebt.
Eine Partei der Arbeit sollte nicht von jemandem geführt werden, der in seinem Berufsleben noch nicht angekommen ist
Grundsätzlich halte er Kühnert für „ein wirklich großes Talent“, so Gabriel. „Ob man ihn, der selbst mit 30 weder eine Berufsausbildung noch ein Studium abgeschlossen hat, gleich in Führungsfunktionen einer Partei bringen sollte, ist allerdings eine andere Frage.“
Sobald Kühnert ein Studium abgeschlossen und einige Jahre gearbeitet habe, könne er seine politische Karriere „jederzeit“ weiterverfolgen.
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Kommentar von Jürgen Fischer |
Hallo Robert, ich stimme dir zu, dass der Mensch oft nicht so im Mittelpunkt steht, wie behauptet. Er wird mit Methoden "zugeschüttet" und dann auch noch als Problem verurteilt, wenn die Methoden nicht funktionieren. Denn die Methoden interessieren sich erst einmal nicht für den Menschen, sie sind Theorie. Der Mensch muss sich für die Methoden interessieren. Damit meine ich, dass der Mensch die Methoden umseten muss. Und somit stimme ich dir voll und ganz zu: Dann steht die Methode im Mittelpunkt, nicht der Mensch.
Es kommt also am Ende wieder auf die Menschen selbst an, den Menschen auch in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei darf ein Mensch gerne Methoden anwenden. Der Kontakt zum Menschen kann dann aber nicht durch Theorie ersetzt werden, er muss gelebt werden. Wenn man dies nicht leistet, dann steht der Mensch einfach nicht im Mittelpunkt.