Überqualifizierung: Im Teufelskreis der Weiterbildungen
Man lernt nie aus. Das Leben ist ein ewiger Entwicklungsprozess, in dem man nie stehen bleiben darf und sich stetig weiterbilden sollte. Durch dieses ständige Streben nach Wissen, zusätzlichen Fähigkeiten und Ausbildungen ist es am Arbeitsmarkt schwieriger geworden, eine Stelle zu finden, in der man all sein Wissen auch anwenden kann. Überqualifizierung ist dadurch zu einem großen Thema geworden. Die Zahl an Stellenangeboten steigt nicht so schnell an, wie die Qualifikation der Bewerber. Vor allem für Arbeitssuchende über 50 ist es eine große Herausforderung geworden, eine geeignete Stelle zu finden. Es gibt ausreichend jüngere „günstigere“ Kräfte am Markt, die sich eine Karriere in einem Unternehmen aufbauen möchten und nicht in absehbarer Zeit das Unternehmen verlassen.
Wer ist vorwiegend von Überqualifizierung betroffen?
In welchen Lebenslagen haben Menschen überhaupt mit dieser Thematik zu kämpfen? Die Überqualifikation betrifft junge, aber auch ältere Arbeitnehmer. Junge Kräfte haben nach ihrer Ausbildung meist sehr hohe Erwartungen an ihren ersten Job und werden dann oft enttäuscht. Sie würden gerne sofort mit voller Motivation durchstarten, „dürfen“ ihr Können aber noch nicht ganz zeigen. Hier ist auch eine Schwierigkeit, dass viele Unternehmen keine Absolventen ohne ausreichend Berufserfahrung einstellen möchten. Dies ist allerdings eher ein zeitlich beschränktes Problem. Sobald sie eingearbeitet sind, wird ihnen auch das Vertrauen geschenkt, Aufgaben zu übernehmen.
Als älterer Mensch hat man es am Markt wirklich nicht leicht. Man bringt viel an Erfahrungen, Wissen und Ressourcen mit, für die man natürlich auch entsprechend bezahlt werden möchte. Dies wollen sich viele Unternehmen nicht leisten und haben Angst, dass Mitarbeiter über 50 nur noch die Zeit zur Pension absitzen möchten.
Darüber hinaus sind häufig Menschen betroffen, die eine Karrierepause eingelegt haben. Auch ausländische Fachkräfte haben es schwer, ihre im Heimatland erworbenen Qualifikationen in ihrem Zielland, wie zum Beispiel Deutschland oder Österreich, anwenden zu können.
Überqualifizierung – Himmel oder Hölle?
Man möge meinen, dass eine zu hohe Qualifikation eines Mitarbeiters kein großes Problem darstellt. Ganz im Gegenteil, viele Menschen denken, das sei der „Jackpot“, ein gemütlicher Job, keine schwierigen Aufgaben, man wird wenig gefordert und reißt sich kein Bein aus. Außerdem ist man als Mitarbeiter einfach besser als ursprünglich gefordert, was kann daran schlecht sein? Leider ist es in der Realität durchaus ein Problem. Denn auf Dauer gesehen, wird ein Mitarbeiter, der eindeutig überqualifiziert ist, nicht glücklich mit seiner Tätigkeit sein. In einer Studie konnte gezeigt werden, dass Personen, die sich selbst als überqualifiziert in ihrem Job einschätzen, unzufriedener mit ihrer Arbeit sind, als Personen, die ausbildungsadäquat beschäftigt sind. Zusätzlich wurde herausgefunden, dass sich Mitarbeiter, die überqualifiziert sind öfter an Stresssymptomen leiden, daraus resultieren häufigere Fehlzeiten und unkonzentriertes teilweise gelangweiltes Verhalten. Darüber hinaus haben diese Personen eine geringere Bindung an das Unternehmen, haben ein höheres Kündigungsbedürfnis und folglich eine höhere Fluktuationsrate. Obwohl sie eine schlechtere Einstellung zu ihrer Arbeit haben, sind die Arbeitsleistungen durchschnittlich besser, als bei anderen Mitarbeitern.
Einfach eine faule Ausrede?
Es gibt auch Bewerbungssituationen, in denen man das Gefühl hat, dass die angebliche Überqualifikation als faule Ausrede verwendet wird. Wenn man einen Job wirklich will oder dringend braucht, hört man nicht gerne, dass man einfach zu gut dafür ist. Oft stecken hinter so einer Aussage Ängste oder Befürchtungen von Seiten des Arbeitgebers. Ein häufiger Grund für eine Absage mit der Begründung Überqualifizierung sind zu hohe Gehaltsvorstellungen. Zusätzliche Qualifikationen kosten dem Unternehmen viel Geld, das an dieser Stelle gerne gespart wird. Viele Unternehmen setzen hier lieber auf jüngere Mitarbeiter, die aufgrund ihrer geringeren Erfahrungen ein nicht ganz so hohes Gehalt einfordern können. Ist man für einen Job klar überqualifiziert wird der Arbeitgeber auch Angst haben, dass der Mitarbeit nur eine Übergangslösung sucht und beim nächstbesten Jobangebot 'die Fliege macht'. Wenn in einem Job Teamarbeit groß geschrieben wird, könnte ein Ungleichgewicht der Qualifikation zu Konflikten und Machtkämpfen führen. Darüber hinaus könnte sich die Führungskraft selbst bedroht fühlen, da der neue Mitarbeiter eventuell zu einer potentiellen Konkurrenz wird. Bei einer Mischung zwischen sehr hohen Qualifikationen und höherem Alter könnte es Bedenken geben, dass sich der neue Mitarbeiter nicht unterordnen will, da er eventuell mehr Erfahrungen hat, als sein eigener Chef. Überqualifizierung wird auch gerne als Ausrede verwendet, wenn ganz einfach die Chemie zum Bewerber nicht stimmt.
Durch diese und viele weitere Gründe kommt es dann häufig dazu, dass extrem wertvolle und qualifizierte Menschen, die in ihrem Bereich wirklich etwas auf dem Kasten haben, über Jahre hinweg keine Stelle finden. Menschen, die sich ständig weiterentwickeln, Neues lernen möchten und sich Herausforderungen stellen, nicht die Change bekommen, dies zu verwirklichen.
Im Teufelskreis der Weiterbildung
Für mich stellt diese Situation eine Art Teufelskreis dar. Auf der einen Seite werden immer mehr Zusatzausbildungen und breit aufgestelltes Know-How gefordert. Ohne langjährige Ausbildung oder akademischen Abschluss wird es schwieriger, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Auf der anderen Seite möchten Arbeitgeber aber nicht mehr Geld dafür ausgeben und es wird scheinbar unmöglich die finanziellen Einbußen durch langjährige Ausbildungen wieder einzuholen. Was hat man dann am Ende davon? Als Überqualifiziert abgestempelt zu werden?
Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie Ihre Erfahrungen zum Thema Überqualifizierung mit uns teilen würden! Waren Sie bereits einmal in der Situation als Begründung für eine Jobabsage zu hören, dass Sie für eine Stelle überqualifiziert sind? Können Sie sich vorstellen, dass Überqualifizierung auch etwas mit der Persönlichkeit zu tun hat? Dass sich zum Beispiel Personen mit starkem Selbstbewusstsein eher als überqualifiziert einschätzen, als Personen mit geringem Selbstwert? Wir freuen uns, mit Ihnen zu diskutieren!
Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück
von Laozi
Literatur
- Bock-Schappelwein J. (2015). Zusammenhänge zwischen formaler Überqualifikation, Gesundheitszustand und Arbeitszufriedenheit. http://erwachsenenbildung.at/magazin/15-24/07_bock-schappelwein.pdf
- Waldburger D. (2013). Überqualifikation, Arbeitszufriedenheit und Arbeitsleistung. Universität Zürich, Deutschland.
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Kommentar von Petra Ehrlicher |
Ein super aktuelles Thema auf den Punkt getroffen, verschiedene Zielgruppen beleuchtet und analysiert, Gratulation, P. Ehrlicher
Antwort von Andreas Kerneder
Vielen herzlichen Dank für Ihr Feedback Frau Ehrlicher!
Herzliche Grüße, Andreas Kerneder
Kommentar von HR |
Gut gewähltes aktuelles Thema! Modernes Lohndumping oder anders gesagt so viel Qualifikation wie möglich für wenig Geld. "Geiz ist geil" diese Mentalität setzt sich auch an dieser Stelle durch. Allerdings stimme ich zu, dass überqualifizierte Bewerber nicht zwingend ein Gewinn für ein Unternehmen sind, wenn keine schnellen Karrierepfade beschritten werden können oder sich kein "Asset" für denjenigen generiert. +50 wird unterschätz und falsch eingeschätzt. Ich habe hier durchaus auch mit überqualifizierten sehr gute Erfahrungen gemacht! Voraussetzung ist eine Plattform für den Wissensaustausch. Eine Art "Mehrgenerationen Haus" im Unternehmen.
Antwort von Andreas Kerneder
Vielen Dank für Ihr Feedback, Ihre Einschätzung und Erfahrungen!
"Geiz ist geil" ist wirklich ein sehr passender Ausdruck für die momentane Situation am Arbeitsmarkt. Ich denke dies wird gerade deshalb zu einem heiklen Thema, da es nur ein schmaler Grad ist zwischen, wie Sie so schön sagen, Lohndumping zu betreiben und den tatsächlichen Problemen die durch Überqualifizierung entstehen. Ich freue mich sehr, dass Sie bereits gute Erfahrungen mit überqualifizierten älteren Mitarbeitern gemacht haben, denn ich bin hier ganz auf Ihrer Seite. Ich denke auch, dass der regelmäßige Austausch von jung und alt von großer Bedeutung ist und 50+ Mitarbeiter keinesfalls unterschätzt werden sollten. Darüber hinaus sollte es auch immer wieder neue Herausforderungen geben, damit die Unterforderung vermieden wird.
Herzliche Grüße, Andreas Kerneder
Kommentar von Petra Möller |
Sehr spannendes Thema und gut aufbereitet. Von Diversity-Management wird ja mittlerweile in vielen Unternehmen gesprochen - das Thema "Überqualifizierung", welches ja nun auch Weiterbildungen und einige Jahre Berufserfahrung beinhaltet, findet dabei allerdings noch eingeschränkt Beachtung.
Kommentar von Petra Möller |
Sehr spannendes Thema und gut aufbereitet. Von Diversity-Management wird ja mittlerweile in vielen Unternehmen gesprochen - das Thema "Überqualifizierung", welches ja nun auch Weiterbildungen und einige Jahre Berufserfahrung beinhaltet, findet dabei allerdings nur eingeschränkt Beachtung.
Antwort von Andreas Kerneder
Guten Abend Frau Möller! Vielen Dank für Ihre Einschätzung und Ihr Feedback!
Ganz genau, Diversity-Management wird immer mehr zum Thema und gerade in diesem Bereich könnte die Überqualifizierung aufgegriffen werden. Denn hier steckt enorm viel Potenzial, die verschiedenen Fähigkeiten und Ressourcen der Mitarbeiter für das Unternehmen zu nutzen. Weiß man die individuellen Qualifikationen der Mitarbeiter besser in das Unternehmen zu integrieren, werden diese auch nicht das Gefühl haben, überqualifiziert zu sein.
Herzliche Grüße, Andreas Kerneder
Kommentar von Erich Unkrig |
Zitat: Als älterer Mensch hat man es am Markt wirklich nicht leicht. Man bringt viel an Erfahrungen, Wissen und Ressourcen mit, für die man natürlich auch entsprechend bezahlt werden möchte. Dies wollen sich viele Unternehmen nicht leisten ....
Frage: Ist das so stimmig und passend?
Arbeitleistung und -ergebnisse werden anhand des "Mehrwert" für den internen oder externen Kunden bewertet und honoriert. Ein "Vorhalten" von nicht genutztem Wissen, Erfahrungen und Ressourcen kann allein schon deshalb nicht monetär honoriert werden, weil dafür auch der Kunde nichts zahlt. Heißt: selbst wenn es Unternehmen und Institutionen wollten, dann könnten sie es nicht (woher kommt das Geld dafür?).
Kann man das anderes sehen?
Antwort von Andreas Kerneder
Lieber Herr Unkrig,
da haben Sie natürlich Recht, wenn der Mitarbeiter in direkter Verbindung zum Kunden steht und durch seine Erfahrungen keinen Mehrwert einbringt, (z.B. mehrere Kunden in gleicher Zeit abzufertigen) kann seine Leistung nicht überdurchschnittlich bezahlt werden. Trotzdem kann es aber so sein, dass ein Mitarbeiter durch seine Ressourcen und Erfahrung für das ganze Unternehmen einen positiven Mehrwert bringen und dabei wäre eine erhöhte Bezahlung wieder angemessen. Eine schwierige Situation, da man als erfahrender Mitarbeiter einen gewissen Lebensstandard aufrecht erhalten will und nicht in der gleichen Gehaltsstufe wie Berufsneulinge seine Arbeit verrichten möchte.
Liebe Grüße, Andreas Kerneder
Kommentar von Personalfachkaufmann |
Leider ist es wirklich oft so das der Vergangenheit mehr Gewicht geschenkt wird als der Zukunft. Ein Bewerber der viel erreicht hat, vielseitig beschäftigt war und einige Fort-und Weiterbildungen gemacht hat kommt auch an einen Punkt wo "Karreire" nicht mehr alles ist und man garnicht weiter will, sondern einfach einen guten Job machen und ansständiges Geld bekommen. Eine Fortbildung heist nicht immer -höher-schneller-weiter, sondern auch das man gern dazulernt, sich neues und breites Wissen aneignet um innerhalb der normalen Arbeitszeit einfach gut gerüstet sein will. Ich habe auch schon öfter mit dem Stempel " wir glauben das Sie dafür zu überqualifiziert sind" zutun gehabt, hätte aber gern ein "normales" Arbeitsverhältnis um meine ausgefüllte Freizeit zu genießen. Ich arbeite gern, aber mir ist das Privatleben enorm wichtig und das kolidiert mit "Karriere". Aber machen Sie das mal den Leuten da draußen klar...
Antwort von Anna Grunwaldt
Hallo,
vielen Dank für Ihren Kommentar. Da haben Sie natürlich recht. Beim Zeitpunkt der Bewerbung zählt die Ausbildung, sowie Fort- und Weiterbildungen. Auf Grundlage dieser werden Bewerber beurteilt und evtl. in die Schublade 'Überqualifiziert' gesteckt. Viele Bewerber haben viel Zeit in die Ausbildungen investiert, um später einen Beruf ergreifen zu können, bei dem man für seine Mühen einen tollen sowie ansprechenden Beruf ausüben zu können, bei dem man sein theoretisches Wissen anwenden kann und um dafür entlohnt zu werden. Fortbildungen sind meiner Meinung nach, so wie Sie es auch selbst geschildert haben, wichtig, um auf dem Laufenden bleiben zu können und den Anforderungen des täglichen Arbeitslebens gerecht zu werden. Dennoch gestaltet es sich dann oft schwierig, mit einem großen Know-How ein "normales" Arbeitsverhältnis eingehen zu können, wie Sie es schreiben.
Herzliche Grüße
Anna Grunwaldt