Umgang mit Angst: Bewältigung im Job
Auslöser von Angstzuständen finden sich im Berufsleben zur Genüge: Stress, Überforderung, Leistungsdruck oder auch Streitereien. Hinzu kommen die Digitalisierung und ein zunehmend hoher Anspruch an Flexibilität und Erfahrung, vor allem auch an Berufseinsteiger. Viele Führungskräfte sehen sich momentan vor der Herausforderung, ein Team zu führen und Ziele zu erreichen, ohne diese persönlich treffen zu können. Dass viele Menschen dabei mit der Bewältigung von Versagensängste und Gefühle von Isolation kämpfen, ist nicht überraschend. Trotzdem gelten psychische Probleme weitgehend noch als Tabuthema, vor allem im Job. Wie Ihnen der konstruktive Umgang mit Angst gelingt und was sie aus ihr lernen können, lesen Sie in diesem Artikel.
Angst als Botschaft
Evolutionär gesehen ist Angst etwas völlig Natürliches und enorm wichtig für das Überleben einer Spezies. Dennoch wird intuitiv mit der Aussage „Ich habe Angst“ oft Schwäche verbunden. In einer Leistungsgesellschaft, in der Produktivität, Selbstständigkeit und Erfolg das einzig wichtige zu sein scheinen, ist das Eingeständnis von „Schwäche“ und Fehlern nicht gern gesehen. Dabei öffnen sich genau dadurch Türen zur Zusammenarbeit und zum Erlangen von neuem Wissen, auch über sich selbst. Denn vergegenwärtigen wir uns, dass Angst uns etwas mitteilen möchte und uns nicht schaden will, lässt sie sich auch einfacher verstehen. Versagensängste oder Angst vor Kündigung können sich im Moment anfühlen wie das Ende der Welt, und doch stecken wir dabei nicht in einer lebensbedrohlichen Situation. Angst will uns sagen: „Hey, pass auf, etwas stimmt nicht“.
Angst als Chance
Hinter diesem Signal liegt oft eine Warnung. Es könnte etwa bedeuten, dass die eigenen Ressourcen knapp sind oder man sich unfair behandelt fühlt. Ein weiterer wichtiger Einfluss auf das individuelle Angsterleben ist die persönliche Lerngeschichte. So wurden vielleicht bereits als Kind ursprünglich harmlose Reize wie beispielsweise soziale Interaktionen mit Angst verknüpft. Wenn etwa eine Bezugsperson immer mit Strafen drohte, wenn man die eigene Meinung äußerte, könnte man auch als erwachsener Mensch noch Angst vor Zurückweisung haben. Diese Verbindungen sind uns oft nicht bewusst, können aber durch Selbstreflexion klarer werden. Wissen wir erst, warum wir mit Angst reagieren, lässt sich diese auch leichter verstehen.
Raus aus der Opferrolle
Stellen wir uns unseren Ängsten, verlieren sie dadurch an Macht. Gesteht man sich ein, Angst zu haben, hat man schon den ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Im nächsten Schritt kann Unterstützung durch vertraute Menschen eine große Stütze sein. Finden Sie jemanden, dem Sie von ihren Ängsten erzählen können. Manchmal hilft schon das bloße Reden über Probleme, sich besser zu fühlen und Klarheit über die eigenen Gedanken und Gefühle zu erlangen. Zudem werden Sie sehr wahrscheinlich erleben, dass Sie nicht alleine sind und Ihr Gegenüber vielleicht genau nachempfinden kann, was Sie durchmachen. Um aus der Rolle des Opfers zu gelangen und aktiv zu werden, können zudem Erinnerungen an gute Momente und was diese auszeichnete, helfen. Was war eine Situation, in der Sie Angst empfunden haben, sich dieser aber gestellt haben und ein Erfolgserlebnis folgte?
Step by Step
Der Schlüssel sind hier kleine Schritte. Wollen wir unser Verhalten oder unsere Einstellung ändern, können uns große Ziele („Ab morgen hab‘ ich keine Angst mehr!“) überfordern. Erfahren wir hingegen kleine Erfolge, ermutigen uns diese und motivieren uns, weiterzumachen. Hat man beispielsweise Angst vor Präsentationen, können Testläufe vor vertrauten Personen helfen, an Sicherheit zu gewinnen. Die Angst, vor jemand bekanntes zu präsentieren, ist wahrscheinlich geringer - das Erfolgserlebnis, wenn die Präsentation gut läuft, gibt einem aber sofort mehr Selbstbewusstsein. Ebenso könnte mit kurzen Präsentationen begonnen und die Länge langsam erhöht werden, sollte man sich sicherer dabei fühlen. Will man sich zusätzliche Hilfestellungen holen, können Therapeuten, Coaches oder Berater eine wertvolle Stütze sein.
Win-win- oder Lose-lose-Situation
Was den Mitarbeitenden schadet, schadet auch dem Unternehmen. Die Folgen von Angst, vor allem von ignorierter und unter den Tisch gekehrter, sind Motivationsverlust, Energielosigkeit, Rückzug, schnellere Resignation und ein allgemein niedrigeres Engagement. Das können sich Führungskräfte nicht leisten, wenn sie mit ihrem Unternehmen weiterhin den Zahn der Zeit treffen wollen. Werden psychische Probleme der Mitarbeitenden nicht thematisiert, spart das kurzfristig vielleicht Geld, weil kein Krankenstand beansprucht wird. Auf lange Sicht lösen sich diese Probleme meist jedoch nicht von selbst und können einiges an Schaden anrichten, bis der Mitarbeitende schlussendlich monatelang ausfällt oder gar kündigt.
Die Führungskraft als Vorbild
Geht der Chef oder die Chefin offen mit ihren Gefühlen und Ängsten um, tun dies die Mitarbeitenden auch viel eher. Machen Sie als Führungskraft deutlich, dass Emotionen am Arbeitsplatz Raum haben dürfen und Kommunikation wichtig ist. Anstatt Fehlern mit Vorwürfen entgegenzutreten, wären Angebote von Lern- und Förderhilfen produktiver. Machen Sie auch verständlich, dass das Eingestehen von Angst keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke ist. Bietet das Unternehmen Coachings oder Beratungen für Mitarbeitende an, können diese enorm helfen, Stigmata zu bekämpfen und einen offenen Umgang mit Emotionen zu fördern.
Fazit zum Umgang mit Angst
Kein Mensch ist vor Angst gefeit, egal in welchem Beruf und welcher Position. Warum wird sie also immer noch als Schwäche abgestempelt? Um sich seiner Angst zu stellen und sie auch gegenüber anderen einzugestehen, bedarf es Mut. Wird in Unternehmen seitens der Führungskräfte proaktiv gegen Vorurteile vorgegangen, lässt sich Angst im Job gemeinsam bewältigen. Davon profitieren schließlich nicht nur die Mitarbeitenden, sondern das gesamte Unternehmen.
Nur wer Angst spüren kann, kann auch Mut beweisen.
Von Dalai Lama
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Kommentar von Peter Maisel |
Ein toller Artikel! Interessant wäre natürlich auch: Woran erkenne ich demnach die Angst bei meinen Mitarbeitenden genau? Wie kann ich als Führungskraft ein Gespräch führen, wenn Angst bei meinen Mitarbeitenden besteht?
Antwort von Selina Kern
Hallo Peter,
Ein sehr spannender Aspekt! Darauf werde ich auf jeden Fall noch in einem zukünftigen Artikel eingehen.
LG
Selina
Kommentar von Rebecca Hut |
Hallo zweikern!
Schöner Artikel, der dem Stigma gegenüber tritt und thematisiert, wie es besser geht! Gerade heute mit Corona kennt dieses Gefühl wohl jeder. Danke für die hilfreichen Tipps!:)
Antwort von Selina Kern
Hallo Rebecca,
Vielen Dank für dein positives Feedback! Freut mich, dass die Tipps helfen.
LG
Selina
Kommentar von Rosa90 |
Toller und interessanter Artikel. Auch lesenswert, wenn man eine posttraumatische Belastungsstörung hat. Weiter so!
Antwort von Andreas Kerneder
Vielen Dank fürs Feedback. Wir geben uns Mühe!
Herzliche Grüße und schöne Ostern.
Andreas