
Unternehmensberatung: Systemische Organisationsentwicklung als Impulsgeber
Die Arbeitswelt erlebt über die letzten Jahre einen Wandel in diversen Hinsichten. So auch die Landschaft der Unternehmensberatung und ihre Ansätze und Blickweisen auf eine Organisation. Neben anderen wird dieses Umdenken vom systemischen Entwicklungsansatz reflektiert. Ursprünglich aus der Familientherapie stammend, geht die systemische Organisationsentwicklung davon aus, dass ein Unternehmen ein komplexes System darstellt, dass nur aus sich selbst heraus einen Wandel hervorrufen kann.
Die Analogie - eine Organisation als große Familie. Veränderung muss von innen, unter Mitwirken der Systembeteiligten vorangetrieben werden und stellt einen Schaffens- wie Lernprozess dar. Es reicht nicht der Blick von außen. Es reicht nicht, isolierte Systemteile herauszupicken und zu analysieren. Das große Ganze wird betrachtet und dazu werden die Akteure selbst für die Gestaltung des Entwicklungsprozesses mobilisiert. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über den systemischen Ansatz und dessen Chancen in der Unternehmensberatung gegeben.
Nur eine Frage des Systems?
Vielleicht stellt man sich nach dieser Einleitung direkt die Frage: Wenn eine systemische Vorgehensweise die Beteiligten selbst zur Handlung und vor allem Handlungsverantwortung ziehen möchte, wozu dann noch professionelle Angebote von außen bemühen, wenn man sowieso die ganze Arbeit selber machen muss? In welcher Rolle sehen wir als Beratende uns dann also noch? Weshalb der systemische Ansatz nicht davon ausgeht, dass der Veränderungsprozess allein durch die Beteiligten selbst eingeleitet werden kann, soll im Nachfolgenden deutlicher werden.
Historisch unter anderem aus dem familientherapeutisch-systemischen Ansatz hervorgegangen und definitiv humanistisch einzuordnen, wird die Organisation als System und Experte für sich selbst angesehen. Den Systembeteiligten selbst wird die größte Kompetenz für ihre eigenen Herausforderungen aber auch Stärken zugeschrieben. Die Organisation als großes Ganzes, eine Familie, die selbst am besten weiß, wie sie funktioniert und wie sie sich entwickeln kann.
In der systemischen Familientherapie werden vor allem mehrere Beteiligte, im Optimalfall alle, miteinbezogen und nicht nur die erkrankte Person als Baustelle betrachtet. Sie ist bloß das Symptom eines erkrankten Familiensystems, in dem jeder eine Rolle einnimmt. Diese Sichtweise kann sehr gut auf strukturelle sowie personelle Problemstellungen und Konfliktpunkte in einem Unternehmen übertragen werden. Beispielsweise Konflikte in einem Team oder einer Abteilung, die zwischen Einzelpersonen auftreten, müssen nicht zwangsläufig nur die direkt Involvierten betreffen. Häufig stehen tiefere, strukturelle Schwachstellen dahinter, die Spannung erzeugen können und von den Konfliktparteien lediglich an die Oberfläche befördert werden. Wird eine externe Beratung zu Rate gezogen, kann diese gemeinsam mit dem Wissen der Führungspersonen und manchmal Mitarbeitender freilegen, welche Herausforderungen bestehen aber auch welche Stärken das Unternehmen in seiner Gemeinschaft hütet.
Darin liegt auch die Hauptaufgabe einer Beratung nach systemischem Ansatz. Wer systemisch arbeitet, betrachtet sich selbst also eher als prozessmoderierend und impulsgebend. Themen und Inhalte des Entwicklungs- und/oder Problemlöseprozesses beeinflussen vor allem die Beteiligten selbst. Die Unternehmensberatung hält zwar die Außenperspektive inne, jedoch mehr, um die Organisation bei dem Prozess zu unterstützen, Ressourcen, Lösungsansätze und Potentiale aufzustöbern und zu nutzen. Der Blick von außen auf das System ist definitiv wertvoll und meist unersetzbar. Würde das System wiederum im Alleingang an die Fragestellungen herangehen, wäre zu viel Risiko für blinde Flecken gegeben, die Interne aufgrund der strukturellen und personellen Verwobenheit selbst schwer wahrnehmen könnten.
Hilfe zur Selbsthilfe – systemische Beratung schafft Nachhaltigkeit
Die klassische Unternehmensberatung wird oft eingesetzt wie ein Medikament zur Bekämpfung von oberflächlichen Symptomen. Ein Mittel zum Zweck. Diese Vorgehensweise führt jedoch meisten dazu, dass die zugrundeliegenden Ursachen unbehandelt bleiben und wie bei einem Entzündungsprozess weiterschwelen. Vielleicht verschwindet ein Problem für eine kurze Zeit. Die Ursache besteht jedoch weiter und kann jederzeit an anderer Stelle einen Konfliktherd bewirken.
Der systemische Ansatz sieht darin die Gefahr von Problemketten. Eine oberflächliche Problemlösung, die nur Teilaspekte betrachtet, führt dazu, dass immer wieder Hilfe von außen herangezogen werden muss, da die Thematik nie an der Wurzel gepackt wurde, das große Ganze nicht berücksichtigt worden ist. Damit wird das Unternehmen selbst Stück für Stück in eine Unmündigkeit gebracht, immer mehr seiner eigenen Kompetenzen beraubt, sich selbst „zu heilen“. Die systemische Beratung sieht sich da mehr als Entwicklungshilfe mit dem Ziel, Potenziale für die Selbsthilfe in zukünftigen Herausforderungen zu aktivieren.
Somit steht für die Organisation zwar initial eine höhere Investition an Ressourcen und Input für den Beratungsprozess an, ist dafür anschließend jedoch mit Kompetenzen ausgestattet, die ihr nachhaltig eine interne Problemlösefähigkeit ermöglichen. Langfristig ist das Output also größer.
Menschenbild und Arbeitseinstellung
Als humanistisch verorteter Ansatz, vertritt die systemische Organisationsentwicklung Werte, die mit den aktuellen Veränderungen in einer agilen Arbeitswelt und einer Orientierung hin zu einer neuen Arbeitsform, New Work, sehr kompatibel und kongruent sind. Die beiden Kernprinzipien „Lernen statt Revolution“ sowie „Ressourcen- und Lösungsorientierung“ unterstreichen, dass die systemische Organisationsentwicklung auf eine langfristig stabile Veränderung abzielt. Ähnlich zum agilen Ansatz „Überprüfen und Anpassen“ und geeignet als Methode im Rahmen des Changemanagements.
Man sollte daher nicht dem Irrtum unterliegen, der Prozess der systemischen Organisationsentwicklung sei ziellos. Er ist lediglich absichtsarm und beabsichtigt damit, den Raum für die Potenzialentfaltung zu vergrößern. Das Unternehmen soll nicht als unmündig und zu belehrend behandelt werden. Vielmehr kooperieren Unternehmensberatung und Unternehmensführung auf Augenhöhe und profitieren von ihren jeweiligen Kompetenzen. Die Unternehmensberatung fungiert hier eher als eine Art Katalysator für die Potentialgewinnung. Probleme werden holistisch betrachtet. Das Sozialgefüge eines Unternehmens darf nie ausgeklammert werden, auch wenn die Problemstellung struktureller Natur ist.
Entscheidet sich ein Unternehmen also für eine systemische Herangehensweise, bietet diese eine umfassende Chance, Potenziale zu wecken, Ressourcen aufzudecken und die Organisation selbst zum kompetenten Changemanager zu transformieren. Es ist eine Entscheidung für langfristige Systemstabilität und ein humanistisches Werteset.
Gerade wenn man glaubt etwas ganz sicher zu wissen, muss man sich um eine andere Perspektive bemühen.
aus dem Film "Der Club der toten Dichter"
Literatur:
https://chancen-navigator.de/organisationsentwicklung
https://newworkglossar.de/was-ist-systemische-organisationsentwicklung/
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