Auf den Kern gebracht #8: Neuroleadership
Der Neologismus „Neuroleadership“ prägt seit den späten 1990ern vielerlei betriebswirtschaftliche Ansichten über das Individuum als fundamentalen Teil unseres Wirtschaftssystems. Bereits frühe Studien zeigen, dass das Bild des zweckrationalen Menschen, der rein logische Kaufentscheidungen trifft, ausgedient hat. Mithilfe von neuropsychologischer Forschung soll es nun gelingen, Vorgänge im Gehirn bei Kaufentscheidungen (Neuroökonomie) aber auch im Führungsverhalten (Neuroleadership) sichtbar zu machen. Wissenschaftliche Erkenntnisse dem Forschungsfeld Neuroleadership und wie man diese in der Praxis umsetzen kann, lesen Sie in diesem Artikel.
Die Fusion von Neurowissenschaften und Betriebswissenschaften
Obwohl man auf den ersten Blick vermuten könnte, dass Betriebswirtschaftslehre und Neurowissenschaften nichts miteinander gemein haben, gibt es seit den späten 1970er Jahren vermehrtes Interesse an den Prozessen, die im menschlichen Gehirn ablaufen, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Seit frühen Studien geht man davon aus, dass kulturelle Lernprozesse dazu beitragen, Kaufentscheidungen zu beeinflussen und dies auch neurologisch sichtbar wird. Es wurde die Neuroökonomie gegründet. Die Neuroökonomie hat sich zur Aufgabe gemacht, marktwirtschaftliche Entscheidungen mithilfe von Neurowissenschaften erklärbar zu machen. Dabei bewegt sie sich auf individueller Ebene, d. h. es geht grundsätzlich darum, Verhalten von Einzelpersonen auf den Märkten zu untersuchen.
Aufgrund von vielerlei Studien deutet sich an, dass dem Homo oeconomicus die emotionale Basis fehlt. Der Homo oeconomicus ist ein Modell, das sich großer Beliebtheit in den Wirtschaftswissenschaften erfreut. Diese Modell besagt, dass der Mensch in der Wirtschaft rein zweckmäßig geleitet wird. Neuropsychologische Forscher gehen aber davon aus, dass Individuen in Kaufentscheidungen nicht ausschließlich rational handeln, sondern Entscheidungen oft auch emotional geprägt sind. Ziel ist es, Emotionen und Affekte, die rationale Prozesse (wie z. B. Kaufentscheidungen) beeinflussen können, mit in die Erforschung einzubeziehen, um Verhalten besser vorhersagen oder beeinflussen zu können.
Neuroleadership
Neuroleadership ist wiederum (genauso wie Neuromarketing, Neurofinance und Neuromanagement), ein Teilgebiet der Neuroökonomie. Neuroleadership befasst sich mit personalwirtschaftlichen und organisatorischen Fragestellungen. Der daraus resultierende Erkenntnisgewinn soll die Führung von Mitarbeitern sichtbar machen und durch eine entsprechende Arbeitsumgebung verbessern.
Aus der Hirnforschung sind folgende Erkenntnisse hervorgegangen, die im Neuroleadership genutzt werden:
Die Grundbedürfnisse eines Individuums
1. Bindung
Das Bindungsbedürfnis ist eines der am besten nachgewiesenen Grundbedürfnisse des Menschen. Eine Bezugsperson vermittelt Schutz, Sicherheit und spendet Trost. Neurologische Studien zeigen, dass Stressreaktionen, die durch eine bedrohliche Situation hervorgerufen werden, durch das Bindungshormon Oxytocin gemindert und beruhigt werden können.
In der Mitarbeiterführung spiegeln diese neurologischen Erkenntnisse Aspekte wie Vertrauen und Großzügigkeit wider. In einer Studie von Kosfeld et al. (2005) konnte herausgefunden werden, dass das Vertrauen zwischen zwei sich unbekannten Menschen durch die Gabe von Oxytocin erhöht wurde. Weitere Studien daraufhin, dass die Wirkung von Oxytocin nicht nur positive Auswirkungen hat, sondern auch negative Emotionen wie Neid, Schadenfreude und Ausgrenzung von Außenstehenden nach sich zieht.
Vor allem für neue Mitarbeiter sind Bezugspersonen von großer Bedeutung. Dabei muss nicht zwangsläufig die direkte Führungskraft die Person sein, die dem Mitarbeitenden vertraut zur Seite steht. Auch andere Kollegen oder Mentoren können diese Rolle übernehmen und schaffen damit ein frühzeitiges Commitment dem Unternehmen gegenüber.
2. Orientierung und Kontrolle
Das Bedürfnis nach Kontrolle und Orientierung schließt die Beeinflussung der eigenen Umgebung ein. Das schließt auch ein, dass man Feedback zu seinem Verhalten bekommt. Kontrolle heißt außerdem, dass es ein Bedürfnis des Menschen ist, sich fremder Kontrolle zu entziehen und gleichzeitig selbst die Möglichkeit der Beeinflussung der eigenen Situation hat. Mitarbeitende wollen im Unternehmenskontext also Informationen darüber, wie sich die unternehmerische Situation gestaltet, welche Maßnahmen geplant sind und welche Veränderungen das Unternehmen anstrebt.
Studien zeigen, dass Unklarheit über eine Aufgabenstellung die Aktivierung der Belohnungsschaltkreise hemmt bzw. reduziert. Des Weiteren wurde bei Unsicherheit die Amygdala aktiviert. Dieser Teil des Gehirns ist unter anderem für Angstreaktionen verantwortlich. Führungskräfte können diese neurologische Antwort also vermeiden, indem sie Informationen zur Umsetzung von Maßnahmen freigeben und klare Ziele und Aufgaben kommunizieren.
Ein Beispiel für die Erfüllung des Bedürfnisses nach Orientierung und Kontrolle wäre ein Mitarbeitender, der ein eigenes Projekt leitet, das ihm von seiner Führungskraft übertragen wurde. Der Mitarbeitende bekommt sämtliche von ihm benötigen Informationen, die für die Umsetzung vonnöten sind. Er steht nicht unter zu großem Druck, sondern kann sich innerhalb des Projektes ausleben. Über die Ziele und Maßnahmen herrscht absolute Transparenz und der Mitarbeitende bekommt Hilfe, wenn er sie benötigt.
3. Selbstwerterhöhung und -schutz
Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz sind spezifisch menschliche Bedürfnisse, die voraussetzen, dass der Mensch sich regelmäßig reflektiert. Als Ergebnis von verbaler Kommunikation entsteht im Menschen ein Selbstbild, das sich aus Beziehungserfahrungen speist und entwickelt. Wenn das Selbst angegriffen wird, führt dies im Gehirn zur Ausschüttung von Stresshormonen und ist an ein Gefühl von Bedrohung gekoppelt. In einer Studie, bekamen Versuchspersonen nach einer sozialen Interaktion Rückmeldung darüber, ob sie gemocht wurden oder nicht. Personen mit einem niedrigeren Selbstwertgefühl hatten die Empfindung, dass sie weniger positive Rückmeldung bekamen. Personen mit einem hohen Selbstwert überschätzten den Grad der positiven Rückmeldungen hingegen und nahmen negative weniger an.
Im Arbeitskontext kann die Führungskraft den Mitarbeitenden, der sein erstes Projekt leitet, dadurch unterstützen, indem er/ sie seine/ ihre Arbeit lobt und seine/ ihre positiven Leistungen hervorhebt. Das Selbstwertgefühl des Mitarbeitenden wird also gefördert, wenn er/ sie positives Feedback auf gelungene Leistungen bekommt.
4. Lustgewinn und Unlustvermeidung
Menschen streben danach, angenehme Situationen aufzusuchen und unangenehme Zustände zu vermeiden. Diese Kategorisierung läuft hauptsächlich implizit und unbewusst ab und wird aus den Vorerfahrungen gebildet. Diese Kategorisierung lässt sich auch in neuronalen Prozessen wiederfinden.
Ein Beispiel aus dem Arbeitskontext ist Teamarbeit. Wenn der Mitarbeitende viele positive Erfahrungen im Team machen kann, wird er auch zukünftig eher Teamarbeit in Projekten bevorzugen. Hat das Individuum negative Erfahrungen im Team gemacht, wird es zukünftig versuchen, weitere Enttäuschungen zu vermeiden und Teamarbeit aus dem Weg zu gehen.
Fazit zu Neuroleadership
In Verbindung mit den individuellen Persönlichkeitseigenschaften und den Erkenntnissen aus der Hirnforschung lassen sich viele alltägliche Phänomene in einem Unternehmen erklären. Fühlt sich ein Mitarbeitender wohl, sind also alle seine Grundbedürfnisse erfüllt, so können motivationale Ziele realisiert werden. Die Ziele des Unternehmens können also mit den eigenen übereinstimmen, ohne dass der Mitarbeitende zuvor grundsätzliche Situationen für sein Wohlbefinden ändern muss. Erfüllt eine Organisation bzw. eine Führungskraft sämtliche Grundbedürfnisse, ist dies der erste Schritt, um im nächsten Schritt Commitment und Hingabe des Mitarbeitenden für die Ziele des Unternehmens zu erreichen.
Wir streben mehr danach, Schmerz zu vermeiden als Freude zu gewinnen.
von Sigmund Freud
Literatur: Neuroleadership - Grundlagen, Konzepte, Beispiele (Peters, Ghadiri)
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