Ganzheitlichkeit: Der unendliche Krieg zweier Perspektiven
Wir haben bereits vor einiger Zeit in einem Beitrag das Thema Mensch vs. Profit angeschnitten. Aber von Ganzheitlichkeit war dieser Artikel von uns weit entfernt, denn er hat im Endeffekt nur die positiven Aspekte der weichen Faktoren im Unternehmen beleuchtet (Mensch vs. Profit). Um dort anzuknüpfen, hat mich diese Aufstellung auch nicht wirklich glücklich gemacht. Denn seien wir uns mal ehrlich, ein Unternehmen muss wirtschaftliche Aspekte berücksichtigen, um weiterhin wirtschaften zu können. Genau deshalb habe ich mir eher die Frage gestellt, warum es viel zu wenig Literatur zur Verknüpfung dieser beiden wichtigen Themen gibt. Gibt man in der Suchmaschine Google „Mensch“ und „Profit“ ein, werden diese nämlich zumeist, wie auch von uns, als gegensätzlich betrachtet. Headlines wie: Mensch vor Profit oder Mensch statt Profit zieren hier die erste Seite.
Heute möchte ich etwas mehr in die Tiefe gehen und beleuchten, warum dieser Krieg zwischen der Menschlichkeit im Unternehmen und dem Umsatz so verhärtet ist. Am besten stellt man beide „Fronten“ mit der Unternehmensführung und der Personalabteilung dar. Hier gibt es oft Interessenskonflikte, da für die Unternehmensführung grundsätzlich die Zahlen und der Profit im Fokus stehen und für die Personalabteilung eher die Bedürfnisse der Mitarbeiter (Ohne das jetzt zu verallgemeinern). Wir fragen uns heute, muss es immer Mensch vs. Profit heißen, oder kann man mithilfe einer Ganzheitlichkeit in der Sichtweise, beide Pole fusionieren?
Es ist keine Seltenheit, dass es zwischen der Unternehmensführung und der Personalabteilung Werteverschiebungen gibt und es dadurch auch zu Streitereien kommt. Zum Beispiel, wenn die Personalabteilung versucht neue Regelungen zur Entlastung der Mitarbeiter einzuführen und die Unternehmensführung ein Veto einlegt, da hier größere Kosten entstehen könnten. Am Ende sitzt die Führung aber am längeren Hebel und steht so oft als Buhmann dar. Irgendwie wird genau an diesem Punkt zu wenig berücksichtigt, dass sich die weichen wie auch die harten Fakten eines Unternehmens gegenseitig bedingen. Aber nehmen wir die einzelnen Perspektiven der vorhin erwähnten Fronten einmal genauer unter die Lupe.
Aus Sicht der Personalabteilung
Die Personalabteilung hat immer im Hinterkopf: Glückliche und zufriedene Mitarbeiter sind auch produktive Mitarbeiter und bleiben dem Unternehmen länger treu, als andere. So rückt das Thema Soft-Facts und die Bedürfnisse der Mitarbeiter immer weiter in den Vordergrund. Natürlich ist die Personalabteilung auch die erste Anlaufstelle für Mitarbeiter, wenn es Probleme gibt und diese weiß somit genau, welche möglichen Belastungen es auf Mitarbeiterebene gibt. In den letzten Jahrzehnten wird immer mehr Wert darauf gelegt, Belastungen möglichst gering zu halten und auf die Bedürfnisse der Menschen einzugehen. Dadurch ist auch eine menschenorientierte Kultur entstanden, die sich im Human-Resources-Management und in der Personalentwicklung äußert. Die Personalabteilung ist sozusagen die Verbindung zwischen Mitarbeiter- und Führungsebene und steckt hier oftmals im Zwiespalt.
Aus Sicht der Unternehmensführung
Als Leiter eines Unternehmens hat man einiges an Verantwortung. Man ist nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch dafür, den Mitarbeitern jeden Monat ein Gehalt auszubezahlen. Dadurch steht die Unternehmensführung unter großem Druck und die Intention den Erfolg und den Umsatz zu sichern, verstärkt sich. Das wirtschaftliche Handeln auf Seiten der Umsatzorientierung basiert also unter anderem auf dem Wunsch, den Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz zu bieten. Denn wenn schlechte Zeiten auf das Unternehmen zukommen, müssen Mitarbeiter abgebaut werden und an diesem Fakt ändert ein Human-Resources-Management auch nichts mehr. Oft haben Führungskräfte zu wenig Erfahrung mit Personalentwicklung und dergleichen und wissen nicht genau welches Potenzial in den Mitarbeitern steckt.
Konzept der Ganzheitlichkeit
Im Grunde genommen wissen wir doch alle, dass beide Aspekte, der Mensch und auch der Umsatz, wichtig sind. Dennoch, ist es anscheinend sehr schwierig hier Kompromisse einzugehen und die jeweils andere Sichtweise zu verstehen. Dabei könnte mit Sicherheit in vielen Fällen eine Lösung für beide Seiten gefunden werden, wenn Personalabteilung und Unternehmensführung enger zusammenarbeiten würden.
Viele Trainer und Coaches machen es sich recht leicht. Sie konzentrieren sich auf einen einzigen Aspekt im Unternehmen, z.B. das Teambuilding. Viel zu oft ist hier die Geschäftsführung nicht einmal anwesend. Warum? Das Teaminterne Gefüge wird verstärkt und die Geschäftsführung wird ausgeschlossen? Klingt irgendwie abstrus. Dabei wird oft nicht erkannt, dass das Problem in der Zusammenarbeit, eine Ebene darüber liegt und vielschichtiger ist, als angenommen. Wenn beide Parteien an unterschiedlichen Enden des Seiles ziehen, wird immer wieder ein Konflikt entstehen. Deshalb ist es wichtig, hier eine gewisse Ganzheitlichkeit in der Beratung zu etablieren. Dabei ist es von großer Bedeutung, die Bedürfnisse aller in einen Beratungsprozess mit einzubinden. Dazu gehören menschliche Aspekte, wie auch wirtschaftliche und erfolgsorientierte Ansichten. Erst dann ist es möglich, sich in die Wertvorstellungen und Einstellungen der anderen Seite hineinzuversetzen und zu verstehen, welche Hintergründe es für gewisse Entscheidungen gibt. So werden wir auch freier in den Gedanken und werden offener für andere Meinungen und Wechselwirkungen. Warum kann man als HR Manager nicht in Betracht ziehen, dass sich auch der Umsatz des Unternehmens auf die Produktivität und die Zufriedenheit der Mitarbeiter auswirkt? Oder es hier zumindest eine Wechselwirkung in beide Richtungen gibt und nicht die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit den Umsatz steigert.
Im Endeffekt ist diese Wechselwirkung vermutlich stärker, als wir uns das selbst oftmals eingestehen wollen. Aber genau diese Begebenheit und die Einsicht, dass es diese Wechselwirkungen geben kann, ist es, was Ganzheitlichkeit ja irgendwie ausmacht. So bleibt für mich eigentlich nur ein Problem: Beide Fronten müssen den Mehrwert dieser Ganzheitlichkeit erkennen. Nachdem wir aber oftmals davon ausgehen, dass die eigene Expertise den Weg zum goldenen Topf darstellt, wird es schwierig genau hier einen Konsens zu finden – auch wenn es von Vorteil wäre.
Fazit
Der Kampf zwischen Personalabteilung und Unternehmensführung beruht auf demselben Grundgedanken: Beide möchten, dass es den Mitarbeitern gut geht. Die Unternehmensführung möchte so viele Gewinne wie möglich machen, um Arbeitsplätze zu erhalten und den Mitarbeitern finanzielle Sicherheit zu bieten. Die Personalabteilung sieht den Erfolg des Unternehmens eher in der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter und möchte Arbeitsbedingungen verbessern. Wenn diese beiden Fronten an einem gemeinsamen Strang ziehen würden, die Gedankengänge des anderen verstehen würden und kompromissbereiter wären, könnte eine ganzheitliche Sichtweise etabliert und Lösungen für beide Seiten gefunden werden. Eine wertschätzende Zusammenarbeit zwischen Mensch- und Umsatzorientierung kann nur erreicht werden, wenn die unternehmensinterne Kommunikation als Teil der Kultur auf einem hohen Level gelebt wird und beide offen für andere Meinungen und Ansichtspunkte sind.
Ein Kompromiss ist immer ein vorläufiger Erfolg
Chinesisches Sprichwort
Einen Kommentar schreiben
Kommentar von Manuela Nikui |
Vielen Dank für den Beitrag. Aus meiner Sicht sollte sich das Prinzip der Ganzheitlichkeit durch das komplette Unternehmen durchziehen. Es gibt immer noch viel zu viele Silos, beispielsweise Marketing, PR, Vertrieb und IT, die nebeneinander statt miteinander arbeiten. Gegenseitiges Verständnis für die Ziele und Herausforderungen der einzelnen Bereiche trägt sehr viel zu einem "Wir" bei. Natürlich sollten die Mitarbeiter auch wissen, wohin die Reise des Unternehmens gehen soll und welchen Teil sie dazu beitragen können. Wenn sie mit im Boot sitzen, verstehen sie auch eher, wenn auch einmal nicht so angenehme Schritte zu gehen sind und akzeptieren diese auch eher.
Antwort von Andreas Kerneder
Hallo Frau Nikui,
mir gefällt Ihre Sicht auf die Dinge. Sie haben damit natürlich vollkommen Recht. Wir haben uns in diesem Beitrag auf die beiden offensichtlichsten Ebenen konzentriert. Nichts desto trotz ist es für jede Abteilung wichtig, ein vernetztes Arbeiten zu implementieren. So ist es möglich Prozesse transparent zu gestalten und konstruktiv an seinen Aufgaben zu arbeiten.
Kommentar von Klaus Lindinger |
Hallo und vielen Dank für diesen Beitrag, der eine andere Sicht auf diese Kontroverse eröffnet. Wie schon Frau Nikui verdeutlicht hat, wurde das Gegeneinander alleine schon durch prominente Sprüche, wie "Konkurrenz belebt das Geschäft" so weit vorangetrieben, daß häufig jeder nur seinen Besitzstand zu wahren versucht, daß aber genau diese Kampforientierung zu einem überdimensionalen Energieverbrauch und möglicherweise sogar zum Exodus führt, ist kaum jemandem bewusst.
Aber auch der Kommunismus treibt äußerst gefährliche Blüten, wie wir aktuell an Nordkorea sehen können. Daher denke ich, daß eine Balance oder vielleicht besser noch ein gewisses Pendeln mit Blick auf die Energiereserven und Ressourcen ein Unternehmen nachhaltiger agieren lässt.
Antwort von Andreas Kerneder
Hallo Herr Lindinger,
toller Beitrag. Ich persönlich empfinde den Satz "Konkurrenz belebt das Geschäft", als gar nicht allzu falsch. Allerdings sollte sich dies mehr auf die Konkurrenz in Form eines anderen Unternehmens beziehen. Kommt es zu Rangkämpfen oder Konkurrenzgehabe im eigenen Unternehmen, kostet das unnötige Ressourcen und noch viel schlimmer, es schadet der Qualität.
Kommentar von Klaus Lindinger |
Hallo Herr Kerneder,
ja absolut! In einer Form, die nicht gleich zur Schlacht ausartet, ist ein Kräftemessen absolut sinnvoll und beflügelnd!
Es gibt dazu ein sehr anschauliches Beispiel aus der Natur mit Pantoffeltierchen in einem Reagenzglas: Zuerst schwimmen sie alle nach oben und vermehren sich rasant. Doch nach einer weile wird es eng und die ersten sterben ab und sinken nach unten...
In diesem Sinne - so denke ich, wäre ein mehr auf eine "Balance" ausgerichtetes Wirtschaften wesentlich nachhaltiger.
Herzliche Grüße
Antwort von Andreas Kerneder
Immer wieder schön, wie man für alles im Leben eine einfache Veranschaulichung finden kann. Diesmal zeigen uns Pantoffeltierchen, dass eine gesunde Balance das Maß zum Erfolg ist. :)
Unabhängig von den Pantoffeltierchen: In allem was wir tun, ist zu viel Einseitigkeit nicht gut.
Kommentar von Klaus Gourgé |
Wer jetzt denkt, im Vergleich zum Pantoffeltierchen sei homo sapiens doch mit deutlich größerem intellektuellen (und auch emotionalen) Potenzial ausgestattet: Was ganzheitliches = nachhaltiges = zukunftsfähiges Handeln betrifft, muss unsere Gattung den Beweis erst noch erbringen. Das nach wie vor herrschende Wachstums- und Konkurrenzdenken ist dabei, die Lebensgrundlagen vieler Arten (einschließlich des homo sapiens) zu gefährden. Und wer hat sich das ausgedacht? Nicht das Pantoffeltierchen.
Antwort von Andreas Kerneder
Hallo Herr Gourgé,
toller Beitrag. Ich denke, mehr muss man dazu auch nicht sagen. Sie bringen es auf den Punkt.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Dienstag.
Herzliche Grüße