Hierarchien: Je weniger, desto besser?
Flache Unternehmenshierarchien werden immer beliebter, sowohl aus Sicht der Unternehmen als auch aus der der Arbeitnehmenden. Doch wie in so vielen anderen Bereichen gilt auch hier: Ein One-size-fits-all-Approach wird den zahlreichen unterschiedlichen Unternehmenstypen und -strukturen nicht gerecht. So sind flache Hierarchien vor allem für kleinere Unternehmen und Start-ups ideal, während große Unternehmen auch von steileren Hierarchien profitieren können. In welchen Aspekten sich die verschiedenen Modelle unterscheiden und wie die Zukunft von Unternehmenshierarchien aussehen wird, lesen Sie in diesem Artikel von zweikern.
Berg-und-Tal-Fahrt der Hierarchien
Unternehmen mit steilen Hierarchien zeichnen sich durch klare Weisungsbefugnisse und Befehlsketten aus. Dabei hat jeder Mitarbeitende einen direkten Vorgesetzten, der Arbeitsanweisungen gibt und Aufgaben verteilt. Es gibt meist mehrere Ebenen zwischen der obersten Führungsebene und der untersten. Jeder Mitarbeitende kommuniziert mit dem jeweils höhergestellten und dem Rangniedrigeren. Vor allem große Organisationen mit verschiedenen Standorten und vielen Abteilungen weisen steile Hierarchien auf und sind damit oft auch seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten erfolgreich.
In flachen Unternehmenshierarchien gibt es weniger Führungsebenen, wodurch das Verhältnis zwischen den Mitarbeitenden eher durch Kollegialität und Eigenverantwortung geprägt ist. Die Kommunikation erfolgt nicht über mehrere Führungskräfte hinweg, sondern meist direkt von einem Mitarbeitenden zum nächsten. Entscheidungen werden gemeinsam getroffen und Arbeitsschritte selbstständig ausgewählt und durchgeführt. Von dieser Unternehmensstruktur machen häufig Start-up-, Familien- und Kleinunternehmen Gebrauch, welche von dieser Struktur enorm profitieren können.
Je weniger, desto besser?
Mit weniger Abhängigkeit von Vorgesetzten gehen auch mehr (Selbst-)Verantwortung und Organisation einher. Das kann für viele Mitarbeitende ein großes Plus sein und die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung an das Unternehmen deutlich erhöhen. Denn für viele gilt: Führung ja, aber keine ständige Überwachung. Denn durch die flexible Aufgabenverteilung einer flachen Hierarchie können persönliche Kompetenzen gut eingebracht werden, ohne das Gefühl zu haben, einem wird ständig auf die Finger geschaut. Dies bedeutet jedoch auch, dass es weniger Aufstiegschancen gibt. Menschen mit der Absicht, die Karriereleiter so schnell wie möglich bis nach oben zu erklimmen, werden in einer flachen Unternehmensstruktur nicht fündig werden. Gibt es weniger Stufen zwischen der niedrigsten und der höchsten Führungsebene, fällt der Aufstieg schwerer und ist langwieriger als in einer steilen Hierarchie mit vielen Zwischenposten.
In steilen Hierarchien gibt es zusätzliche Stellen zwischen dem oberen Management und den ausführenden Mitarbeitenden. Das bedeutet zusätzliche Posten, die besetzt werden müssen und letztlich hauptsächlich der Kommunikation von einer Ebene zur anderen dienen. Sie kommunizieren, teilen Arbeitsbereiche zu, setzen Deadlines und bilden Teams. Liegt es jedoch in der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden selbst, untereinander Informationen auszutauschen und Aufgaben zuzuteilen, fällt diese Stelle weg. Deshalb kann in einer Organisation mit flacher Hierarchie einiges an Personalkosten eingespart werden. Es ist jedoch wichtig, die Struktur nicht zu flach werden zu lassen. Denn verschwimmen die Befugnis- und Verantwortungsbereiche zu sehr, kann dies zu Machtspielchen führen und ein angespanntes Arbeitsumfeld verursachen.
Hierarchien in der Arbeitswelt 4.0
Während viele ältere, konservative Unternehmen auf steile Strukturen setzen, steigen immer mehr neue Unternehmen auf flache Hierarchien um. Das bringt in einer schnelllebigen Zeit die nötige Flexibilität und Agilität, um innovativ agieren und wachsen zu können. Eine wichtige Voraussetzung für Flexibilität sind schnelles Entscheiden und Handeln. Ob eine flache Hierarchie dies fördert, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Einerseits können kürzere und direkte Kommunikationswege zur schnelleren Entscheidungsfindung beitragen. Dem Verlust von Informationen durch „stille Post“ auf dem Weg von oben nach unten kann vorgebeugt werden. Andererseits haben bei flachen Hierarchien mehr Menschen Mitspracherecht, was unter Umständen zu komplizierten und langwierigen Diskussionen führen kann.
Eine 2017 veröffentlichte Studie von Kienbaum (Beratungsunternehmen) und Stepstone (Jobportal) untersucht den Zusammenhang zwischen Unternehmensstruktur und -erfolg genauer. Das Fazit ist eindeutig: Je agiler und flacher die Organisationsstruktur, desto erfolgreicher scheinen Unternehmen zu sein. Die Mehrheit der Führungs- und Fachkräfte ist der Meinung, dass eine Veränderung der Form ihres Unternehmens die Innovationsfähigkeit verbessern würde und sie sich eine flachere Struktur wünschen. Die Zukunft von erfolgreichen und marktbeständigen Unternehmen scheint also in flachen, aber nicht zu flachen Strukturen zu liegen, die flexibel und innovativ auf Veränderungen reagieren können.
Mehr als bloß Werbefloskel
Begibt man sich momentan auf Jobsuche, liest man in zahlreichen Stellenanzeigen die Aussage, dass man in einer flachen oder niederschwelligen Hierarchie arbeiten würde. Damit wollen Unternehmen an den freigeistigen und eigenständigen Arbeitnehmenden von heute appellieren und zeigen, wie fortschrittlich sie sind. Für viele, auch größere Organisationen funktioniert dieses Modell tatsächlich sehr gut: Die Hotelsuchmaschine Trivago in etwa beschäftigt rund 1100 Mitarbeitende, welche alle über zahlreiche Länder hinweg auf einer Ebene arbeiten. Die Zuteilung zu den Teams in den Bereichen Business, Sales & Marketing, Technology und Product ist jedem Mitarbeitenden selbst überlassen. Zum Wissensaustausch und zur Entscheidungsfindung wird ein internes Wiki verwendet, zu dem jeder Mitarbeitende Zugriff hat. Trivago ist inzwischen zum Milliardenunternehmen herangewachsen, und das in knapp 15 Jahren seit der Gründung.
Dieses Modell funktioniert nicht nur für Tech-Firmen. Der deutsche Produzent für Bergsportausrüstung Vaude nimmt an, dass Mitarbeitende eigenmotiviert und verantwortungsbewusst sind, damit eine flache Hierarchie und ein erfolgreiches Innovationsmanagement gut funktionieren können. Nachhaltigkeit wird bei Vaude großgeschrieben, und zwar nicht nur bei der Produktherstellung, sondern auch wenn es um Mitarbeiterbindung geht. Diese dürfen viel mitentscheiden und verhelfen somit zum Unternehmenserfolg.
Fazit zu Hierarchien
Um das beste aus beiden Welten zu vereinen, kommen häufig Erfolgsfaktoren sowohl von steilen als auch von flachen Hierarchiestrukturen zum Einsatz. Viele Unternehmen sind auf ein gewisses Maß an Führung angewiesen, um die nötige Organisation und Struktur aufrechtzuerhalten. Überlässt man es den Mitarbeitenden, wer welche Teilaufgaben in welcher Teamkonstellation bearbeitet, sind die Mitarbeiterzufriedenheit und die Flexibilität des Unternehmens gesichert. Für viele Organisationen funktioniert auch eine völlig niederschwellige Struktur. Wichtig ist dabei ein gelungenes Zusammenspiel von geteilten Werten, Philosophien und einem Hang zum Unternehmertum. Im Endeffekt führt eine optimale individuelle Passung zum langfristigen Erfolg, die jedes Unternehmen und jeder Arbeitnehmende für sich selbst finden muss.
Innovation ist keine Garantie gegen das Scheitern, aber ohne Innovation ist das Scheitern garantiert.
von Stefan R. Munz, Produkt- und Organisationsentwickler
Literatur:
Jasmin, B., Frank, S., Anastasia, H., & Philipp, L. (2017). Organigramm deutscher Unternehmen. Wie Führungskräfte die neue Arbeitswelt erfolgreich gestalten können. Köln: Kienbaum Consultants International GmbH.
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Kommentar von Armin J. |
Weniger Hierarchien bedeuten nach meinen Erfahrungen mehr Verantwortung für jeden Einzelnen. Die Mitarbeitenden müssen sich ihrer dann höheren Verantwortung bewusst sein und das vielleicht auch erst erlernen!
Eine flache Hierarchie sollte also an den richtigen Stellen und mit entsprechender fachlicher Begleitung eingeführt werden, denke ich...
Antwort von Selina Kern
Hallo Armin,
Danke für deinen Kommentar. Eine Umstellung von einer eher steileren auf eine flache Hierarchie bringt auf jeden Fall auch Herausforderungen mit sich. Das Hinzuziehen von fachlicher Unterstützung, Beratung und Coachings kann dabei auf jeden Fall eine wichtige Stütze bilden und die Bereitschaft von Mitarbeitenden steigern, sich auf den Prozess einzulassen.
Liebe Grüße,
Selina
Kommentar von Ana Mayr |
Hallo Selina, Hallo Armin!
Flache Hierarchien sind ein Fluch und Segen zugleich. Ich gebe Armin da völlig recht, dass keine Hierarchien (oder weniger;) ) nur unter der Prämisse funktionieren, dass sie sauber von jeweiligen "Experten" eingeführt werden. Das Engagement der Mitarbeitenden und die Kommunikation und die Übernahme der Unternehmensziele in den eigenen Werkkatalog stehen hier besonders im Vordergrund.
LG Ana
Antwort von Selina Kern
Hallo Ana,
Danke für den Kommentar. Das sehe ich genauso, da eine Umstellung auf eine flache Hierarchie eine Herausforderung mit Veränderungen auf vielen Ebenen, vor allem auf der der Unternehmenskultur darstellt. Wird diese adäquat und mit Hilfe von Experten umgesetzt, profitieren oft das Unternehmen und die Mitarbeitenden bedeutend von der Umstellung.
Liebe Grüße,
Selina
Kommentar von Erich K. |
Neurobiologische Erkenntnisse bestätigen, dass mehr Verantwortung sehr motivierend wirkt. Eigene Entscheidungen treffen zu können und die Verantwortung dafür tragen zu dürfen, bringt auch ein hohes Maß an Selbstbestätigung. Ein Unternehmen wird die Vorteile von weniger, dafür aber motivierteren Spezialisten bald an den verbesserten Betriebsergebnissen ablesen können. Positive Beispiele dafür finden sich genug in der einschlägigen Literatur.
Antwort von Selina Kern
Hallo Erich!
Viele Dank für deinen Kommentar.
Ich gebe dir völlig Recht und denke auch, dass Unternehmen davon profitieren könnten, den Mitarbeitenden mehr Verantwortung zu übertragen. Dies wird in Zukunft bestimmt immer mehr gemacht werden, da viele Menschen nach mehr Entscheidungsfreiheit im Berufsleben streben und der Trend sich auch dahingehend entwickelt.
Liebe Grüße,
Selina